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Die Personalreserve

Von Simon Rosner

Leitartikel

Strategische Personalplanung findet bei Parteien nicht statt.


In einem Porträt des "Falter" aus dem Vorjahr über den designierten Chef der SPÖ Niederösterreich findet sich ein bemerkenswerter Irrtum. Sven Hergovich, bisher Leiter des AMS in Niederösterreich, wird als kreativer Arbeitsmarktexperte sowie als ein "political animal" beschrieben. Zitiert wird auch Johannes Kopf, AMS-Vorstand, der Hergovich attestiert, mit dem "Politikvirus infiziert" zu sein. Das wird stimmen, sonst hätte Hergovich das Angebot, die SPÖ in Niederösterreich zu übernehmen, wohl dankend abgelehnt. Dann jedoch steht: "Bis dieses Virus ausbricht, müsste die SPÖ Wahlen gewinnen." Es kam genau umgekehrt. Erst musste die SPÖ eine herbe Niederlage erleiden, bevor sich eine Option auftat.

Es ist freilich kein grundsätzlicher Irrtum beziehungsweise Irrweg. Denn es wäre durchaus sinnvoll, dass Parteien Wahlerfolge dazu verwenden, das Mehr an Mandaten und (Regierungs-)Positionen auch mit Nachwuchskräften zu besetzen. Das ist jedoch die absolute Ausnahme. Viel mehr als die Person Sebastian Kurz, der mit 24 Jahren als Staatssekretär an den Rand einer Regierung gehievt wurde und von dort aus seinen Aufstieg begann, war da nicht. Vor allem für ÖVP und SPÖ gilt: Das (historisch gesehen) geringere Angebot von Posten und Mandaten spießt sich mit der weitgehend konstant gebliebenen Nachfrage, weil die Großparteien nach wie vor ihre Landes- und Teilorganisationen bedienen müssen. Bei kleineren Erfolgen reduziert sich das Angebotsdefizit ein wenig, strategische Personalplanung geht sich aber nicht aus.

Für dieses strukturelle Problem haben die Parteien in Österreich eine pragmatische Lösung: die sogenannte Personalreserve, die überwiegend im staatlichen und staatsnahen Bereich angelegt wird. Schon Jahre bevor Christian Kern 2016 den SPÖ-Vorsitz übernahm, wurde er immer wieder als zukünftige Personaloption bezeichnet. Auch Hergovich galt als solche, im "Falter"-Porträt nannte ihn der ehemalige Minister Alois Stöger sogar wörtlich so.

Ob das den Betroffenen recht ist sowie ihnen auch gerecht wird, sei dahingestellt. Es zeigt aber, wie selbst innerhalb der Parteien gedacht wird. Da jedoch an diese Reserven fast nie bei der Listenerstellung vor Wahlen gedacht wird und nur sehr selten bei der Vergabe von Regierungsämtern (die übrigens keine Parteiposten sind!), ist eine Wahlniederlage oder eine Parteikrise fast die einzige Chance auf den Aufstieg. Doch der gleicht in seinem Charakter oft einem Quereinstieg - auch jetzt bei Hergovich. Das vermeintlich Unverbrauchte nährt oft Hoffnungen und löst positive Projektionen aus, wie einst bei Kern. Doch die Politik mit ihrer spezifischen Öffentlichkeit ist ein eigenes Universum. Es kann die Auf- und Einsteiger rasch verschlingen.