Zum Hauptinhalt springen

Europa im Sturm

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Die EU bricht mit ihren Prinzipien, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können.


Die Regeln für Staatshilfen sollen in der EU gelockert werden, so will es die EU-Kommission. Der Satz klingt unspektakulär, doch darin steckt eine historische Zäsur für den Binnenmarkt.

Um das Vorhaben, dessen Eckpunkte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch präsentierte, in seiner ganzen Dimension zu erfassen, muss man sich vor Augen halten, dass die Union seit Jahrzehnten auf das genaue Gegenteil hinarbeitet: Übergeordnetes Ziel war es, Staatsbeihilfen zurückzuschrauben, um einen möglichst fairen und zugleich wirtschaftlich erfolgreichen Wettbewerb zu ermöglichen. Oft gegen Widerstand der Staaten und deren protektionistische Instinkte.

Dass die EU-Kommission nun für staatliche Beihilfen Tür und Tor öffnet, geschieht nicht ohne Grund. Europa steht industriepolitisch unter Druck seitens der USA und Chinas. Beide polit-ökonomischen Machtzentren stehen in beinharter Standortkonkurrenz zu Europa, wenn es um die Technologien der Zukunft geht. Deshalb will die EU nun Öko-Projekte schneller genehmigen, Produktionsstandorte für alternative Energien, E-Mobilität und Speichertechnologien fördern und Handelsabkommen zur Sicherung knapper Rohstoffe forcieren.

Klar ist: Entwicklung wie Produktion alternativer Energieträger, neue Antriebstechnologien, Life-Sciences und Künstliche Intelligenz sowie deren Hinführung zur Marktreife werden über den künftigen Wohlstand entscheiden. Die EU droht durch Chinas gesteuerten Staatskapitalismus und den gigantischen "Inflation Reduction Act" der US-Regierung in Höhe von 370 Milliarden US-Dollar unter die Räder zu kommen. Die Ära, in der Industriepolitik mit Subventionen verpönt war, ist passé. Dabei ist unbestritten, dass neue Technologien eine gewisse Anschubfinanzierung benötigen. Das Problem für Europa liegt in den Langfristfolgen für den Binnenmarkt.

Die Kritik an Beihilfen verfolgte immer auch den Zweck, Investitionen dorthin fließen zu lassen, wo sie die größte Rendite versprechen - geografisch wie wirtschaftlich; dahinter steckte die Hoffnung auf eine aufholende Entwicklung rückständiger Regionen. Nun werden jedoch die ohnehin reichen Staaten die meisten Förderungen ausschütten, weil sie es sich leisten können; dem Süden und Osten droht fortgesetzte Marginalisierung. Brüssel ist sich dieser Gefahr bewusst. Abhilfe sollen gemeinschaftlich finanzierte Geldtöpfe schaffen; diese müssen jedoch ebenfalls finanziert werden, sei es durch eigene Einnahmen oder durch kollektive Haftungen der Staaten. So oder so: Europa steht im Sturm des globalen Wettbewerbs und muss sich wappnen.