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In Zukunft: EUkraine

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Die Ukraine ist ein Teil Europas, das ist seit dem 24. Februar klar.


2014 wehte am Maidan das blaue Banner mit den zwölf goldenen Sternen. Für die Demonstranten in Kiew war schon damals völlig klar: Die Zukunft ihres Landes liegt in Brüssel und nicht in Moskau. 2023 ist die EU-Kommission zu Gesprächen nun nach Kiew gekommen, um über die europäische Perspektive des Landes zu verhandeln. Der frühere ukrainische Präsident Petro Poroschenko erklärte im Nachrichtensender BBC World, die Ukraine habe mit Blut für ihren Drang nach Europa bezahlt. Auch die angereisten EU-Kommissionsmitglieder bekamen eine Ahnung vom Ernst der Lage. Sie wurden in der Früh mit Sirenen begrüßt, und auch am Freitagnachmittag gab es wieder Luftalarm. Es wurde geheim gehalten, wann und wo der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Ratspräsident Charles Michel gemeinsam vor die Presse treten würden. "Die EU wird Sie, so lange wie nötig, auf jede erdenkliche Weise unterstützen", sagte Michel. Die EU und die Ukraine seien eine Familie. "Ihr Schicksal ist unser Schicksal."

Aber so einfach ist es nicht: Die EU-Seite sicherte der Ukraine zwar Unterstützung beim Wunsch nach baldiger Mitgliedschaft zu, eine zeitliche Perspektive gab es aber nicht. Von der Leyen erinnerte daran, dass die Ukraine für einen Beitritt verschiedene Ziele erfüllen müsse. Dazu kommt: Solange sie ein Land im Kriegszustand ist, wäre ein EU-Beitritt eine zusätzliche Herausforderung, denn in Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrags ist festgehalten, dass im Falle eines "bewaffneten Angriffs auf das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats" die anderen EU-Mitgliedstaaten zur Unterstützung verpflichtet sind. Dieser Passus ist freilich so formuliert, dass EU-Mitgliedstaaten wie Österreich, Finnland, Irland und Schweden unter Wahrung ihrer Neutralität kooperieren können.

Dennoch: Ein EU-Beitritt der Ukraine scheint nur nach einem Waffenstillstand mit Russland realistisch. Die ukrainische Beitrittsperspektive bedingt, dass so ein Waffenstillstand eines Tages mit einem Great Bargain zwischen der Ukraine, Russland und der EU zustande kommt. Diese Makro-Überlegungen spielen in Kiew sicherlich eine Rolle, aber es geht auch um den Teufel, der bei solchen Gesprächen stets in den Details steckt. Gemeinsame Gaseinkäufe, Mobilfunk-Roaming, Zollerleichterungen - auch darüber wird in Kiew verhandelt. In der Zwischenzeit geht es darum, die Erwartungen zu managen und sich nicht in Details zu verlieren: Ein Beitritt bis 2026 - von dem manche in Kiew träumen - ist unrealistisch. Aber die geostrategischen Fragen sind bedeutsamer als bürokratisches Klein-Klein. Die Ukraine ist ein Teil Europas, das ist seit dem 24. Februar 2022 klar.