In einer Passage seines Buchs beleuchtet der ehemalige Sprecher von Sebastian Kurz, Gerald Fleischmann, gewisse mediale Mechanismen der Zuspitzung und Verkürzung kritisch, speziell bei Interviews. Er hat damit nicht unrecht. Ein Titel ist aber nun einmal sehr kurz und muss den Artikel auch "verkaufen", das ist sein Zweck. Für ein ausführliches Einerseits-andererseits ist eine Schlagzeile denkbar ungeeignet. Fleischmann war freilich Meister darin, diese Mechanismen für seine Zwecke zu nutzen, es ist aber richtig, dass sie für Interviewte die Gefahr bergen, missverstanden zu werden. Das war jüngst beim Virologen Christian Drosten der Fall, der die Pandemie beendete (er stritt ab, es so gemeint zu haben); bei Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser, als er eine Doppelspitze in der Bundes-SPÖ forderte (er stritt ab, es so gemeint zu haben). Nun hat Arbeitsminister Martin Kocher im "Kurier" erklärt, dass es für Beschäftigte, die "freiwillig weniger arbeiten, weniger Grund für Sozialleistungen" gebe. So stand es auch im Titel.

Daraus wurde schnell ein Ruf nach "Kürzungen bei Sozialleistungen bei Teilzeitarbeit", der auf Social Media, wo primär über Schlagzeilen diskutiert wird, zu heftigen Reaktionen führte und auch politische Reaktionen auslöste. Zwar ließ Kocher über sein Büro schnell wissen, dass es "nicht um Kürzungen" gehe, aber da war die gereizte Wildkatze schon aus dem Sack, und sogar Regierungskollege Johannes Rauch meldete sich medial zu Wort und erklärte, Kürzungen stünden "nicht zur Diskussion".

Zweifellos hat sich Kocher im Interview unglücklich ausgedrückt. Aber es ist zu einfach, hier nur "selbst schuld" zu rufen. Man muss die Aussage nämlich nicht zwangsläufig als Forderung nach Kürzungen verstehen. Ist es vielleicht nicht sogar eher plausibel, dass Ökonom Kocher eine Realität beschrieb? Wer - Achtung, wichtig! - freiwillig weniger arbeitet, hat "weniger Grund" für Sozialleistungen. No na, könnte man dazu auch sagen. (Wie sollen Behörden übrigens Freiwilligkeit überprüfen?)

Dabei lohnt es, über den Kern des Interviews zu diskutieren, nämlich die Teilzeitarbeit. Österreich hat eine der höchsten Teilzeitquoten Europas; Teilzeitarbeit bedingt geringere Pensionen, die oft von der Allgemeinheit gestützt werden müssen; Teilzeitarbeit wird in Österreich systemisch incentiviert. Ein Beispiel ist der "Familienbonus Plus" ab 2019. Wer davor Vollzeit arbeitete und viel Kinderbetreuung benötigte, konnte steuerlich mehr absetzen als jetzt. Der Bonus ist strukturell daher ein Anreiz, weniger zu arbeiten und die eigenen Kinder selbst zu betreuen. Man könnte sogar schreiben: "Kocher kritisiert türkisen Familienbonus!" Aber das wäre natürlich eine sehr böse Zuspitzung.