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Alles schon versemmelt?

Von Judith Belfkih

Leitartikel

Auch in Sachen Klima muss wohl erst etwas passieren, damit etwas passiert.


Sie kleben sich an Straßen fest und haben schon so manches Meisterwerk im Museum überschüttet. Im Rahmen der zweiwöchigen Protestwelle in Wien greifen Klimaaktivistinnen und -aktivisten zu weiteren Aktionen, um ihren Forderungen nach einer offensiveren Klimapolitik Nachdruck zu verleihen: Jugendliche verteilten etwa vor der ÖVP-Parteizentrale Semmeln als Symbol für eine "versemmelte Klimapolitik". Andernorts stellte sich die Obfrau der Jungen ÖVP, Claudia Plakolm, auf die Straße, um an - wegen Klimaaktionen - im Stau stehende Autofahrer Kipferl zu verteilen. "Geben statt kleben" lautete hierfür der griffige Titel.

Kurzum: Die Medien sind voll der Berichterstattung in Sachen Klima, die sogenannten Klimakleber haben ihr erstes Ziel - Aufmerksamkeit - erreicht. Leider steht zu befürchten, dass diese Aufmerksamkeit dem postulierten gutem Zweck dahinter - nämlich deutlichere Maßnahmen gegen die Erderwärmung auf den Weg zu bringen - nicht dienlich sein wird. Im Gegenteil: Die Aktionen richten wohl mehr gesellschaftlichen Schaden an. Denn der aktionistische Teil dieser Bewegung macht es vielen Menschen leichter, das im Alltag als lästig empfundene Thema Klima auszulagern an ein paar - vermeintlich radikale - Einzelne. Damit schaffen die Aktionen mehr Distanz für Umweltfragen als die intendierte Nähe in Form von Sensibilisierung und Bewusstmachung.

In der Politik auf der anderen Seite, als Adressatin der Aktionen, wird die Protestwelle wenig bewegen. Sich einzelnen Störaktionen mit einem politischen Schwenk quasi zu beugen, das ist im (partei)politischen Selbstverständnis nicht vorgesehen. Auch hier werden die offenen Gräben eher tiefer.

Was diese Beobachtungen neben einer Verhärtung der Fronten zeigen: An der Klimakrise offenbart sich einmal mehr die Krise der demokratischen Institutionen. Hier stehen Menschen für eine Sache ein, die das Vertrauen darin verloren haben, dass sie mit ihrer Stimme an der Wahlurne noch etwas bewegen könnten.

Die weiteren Szenarien sind nicht besonders rosig. Weder werden Klimaaktivistinnen und -aktivisten sich durch Anzeigen oder Verhaftungen abschrecken lassen noch wird die Politik plötzlich ihren Kurs ändern. Und in der Gesamtbevölkerung wird klimafreundliches Handeln mit jedem Stau ein Stück mehr als Aktionismus abgetan werden können.

Es muss also wie in vielen Fällen erst etwas passieren, damit etwas passiert. Die Erkenntnis dahinter ist bitter: Wahrscheinlich muss jede und jeder Einzelne die Folgen des Klimawandels (noch deutlicher) spüren, um selbst zu handeln oder dies von der Politik einzufordern - auf der Straße oder an der Wahlurne.