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Eine Schwäche als Stärke

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Ein Jahr nach Kriegsbeginn ist der Westen geschlossen, auch weil er bei den strategischen Zielen vage bleibt.


Auf der Münchner Sicherheitskonferenz treffen sich gerade Sicherheitspolitiker und Experten aus der ganzen Welt minus Russland, das zum ersten Mal in der 60-jährigen Geschichte des Treffens explizit ausgeladen wurde, um über Auswege für eine Beendigung des Ukraine-Krieges zu beraten: Was ist seit dem russischen Überfall geschehen, welche Schlüsse sind daraus zu ziehen, was ist seitdem nicht geschehen, und - fast die wichtigste aller Fragen - was muss geschehen, um den Krieg zu beenden? Außerdem: Was würde ein "Ende" überhaupt bedeuten - echten Friede, bloß einen Waffenstillstand oder einen neuen Kalten Krieg?

Aus Sicht des Westens sind mehr Waffen für die Ukraine in Kombination mit immer härteren Maßnahmen gegen Russland der sicherste Weg zum Frieden. Der Druck auf Kreml-Herrscher Wladimir Putin soll größer und immer größer werden. Wenn diese Strategie zum Ziel führen soll, darf kein Zweifel an der Entschlossenheit des Westens aufkommen. Aus dieser Perspektive wird jedes Nachdenken über alternative Wege zu einem Ende des Tötens als Geschenk an Putin eingeordnet. Dies interpretieren Kritiker, denen die Logik "Frieden durch noch mehr Waffen" verquer erscheint, als Denkverbot oder gar Zensur, obwohl abweichende Meinungen durchaus Raum im öffentlichen Diskurs erhalten (dass es aus subjektiver Perspektive immer zu wenig Raum ist, ist eine andere Debatte). Die wirklich erstaunliche Leistung ist dagegen, dass es sowohl der Nato wie auch der EU über nunmehr ein Jahr gelungen ist, die Ge- und Entschlossenheit der Allianz gegenüber Moskau aufrechtzuerhalten und sogar noch zu bestärken.

Die sehr wohl bestehenden Auffassungsunterschiede werden hinter Begriffen versteckt, die zwar Einigkeit vermitteln, die sich aber einer exakten Interpretation entziehen. So ist offen, welche konkreten strategischen Ziele und damit verbundenen Folgen in den öffentlich immer wieder getrommelten Parolen "Putin darf nicht gewinnen" oder "Die Ukraine darf nicht verlieren" stecken; auch die Rede vom "immer noch möglichen Sieg" Kiews, wie es soeben wieder Nato-Generalsekretär Jen Stoltenberg formulierte, lässt offen, was damit ganz genau gemeint ist.

Diese nur vagen strategischen Ziele sollten eigentlich eine Schwäche des Westens sein; doch eben weil sie Spielraum für Interpretationen lassen, muss auch Putin rätseln, wie weit seine Gegner am Ende zu gehen bereit sind. Das wiederum ist eine Stärke, jedenfalls so lange, wie die geschlossene Unterstützung für Kiew außer Zweifel steht.