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Der Krieg im Blick der anderen

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Der Westen steht mit seinem Blick auf Russland als Aggressor, der bestraft gehört, weitgehend allein da.


"Das Paradoxe am Krieg in der Ukraine ist, dass der Westen zugleich geeinter und weniger einflussreich in der Welt ist als je zuvor." Die Diagnose stammt von Mark Leonhard, dem Direktor des European Council on Foreign Relations und einem der Autoren einer groß angelegten Studie über den globalen Blick auf diesen Krieg.

Das Ergebnis in aller Kürze: Für eine klare Mehrheit in so wichtigen Staaten wie China, Indien oder der Türkei, die als Nato-Mitglied fließend zwischen den Blöcken changiert, ist Russland nicht nur nach wie vor ein strategischer Verbündeter und Partner, sondern soll die Ukraine auch Gebietsverluste im Gegenzug für einen schnellen Frieden akzeptieren. Konträr dagegen der Blick im Westen, wo eine Mehrheit diesen Krieg als Kampf um die Demokratie und die eigene Sicherheit betrachtet und Russland für seine Aggression bestraft sehen will.

Der am Dienstag in großer Zufriedenheit von US-Präsident Joe Biden in Polen ausgesprochene Satz, wonach "die Nato stärker ist als jemals zuvor", mag deshalb für die Binnensicht und Entschlossenheit des Verteidigungsbündnisses zutreffen - nichts eint stärker als ein gemeinsamer Gegner; doch der oft angemaßten Rolle des Westens als global führendem Influencer stellt die Studie jedoch ein schlechtes Zeugnis aus. Wobei davon nur überrascht sein kann, wer in den vergangenen Jahren den Blick über den Tellerrand verweigerte. Tatsächlich ist das Wissen um eine neue Phase des multipolaren Wettbewerbs, der die Staaten des Westens wieder enger zusammenrücken lässt.

Wie gesagt: Die wachsende Fragmentierung der Perspektiven und Überzeugungen rund um den Globus ist nicht vom Himmel gefallen, sondern das Resultat entgegengesetzter Interessen und Bedürfnisse. Das erklärt auch, warum die UNO - und nicht nur sie - in diesem Konflikt - und nicht nur in diesem - keine Rolle spielt. Der multinationalen Diplomatie sind die institutionellen Foren abhandengekommen, was man auch in Wien beobachten kann, wo die ukrainische Delegation der ab Donnerstag stattfindenden OSZE-Tagung fernbleibt, weil der russischen nicht die Anreise verweigert wurde.

Bleibt für Europäer wie US-Amerikaner die Gretchenfrage: Wie kann es, wenn überhaupt, gelingen, andere wichtige Partner in der Welt - in Asien, in Afrika, in Südamerika - vom eigenen Blick auf diesen Krieg zu überzeugen? Und falls nicht: Was sind dann die Konsequenzen?