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Sunaks Meisterprüfung

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
© Luiza Puiu

Wahnsinn, einmal mehrheitsfähig, lässt sich einer Partei nicht so einfach wieder austreiben.


Rishi Sunak wusste, was für ihn auf dem Spiel stand, als er am Montagabend im Londoner Parlament Rede und Antwort zum neuen Nordirland-Deal mit der EU stehen musste. Sein Vorvorgänger Boris Johnson hatte nie im Sinn, das von ihm ausgehandelte Abkommen, das die britische Provinz faktisch im EU-Binnenmarkt beließ und die neue Zollgrenze in die Irische See verlegte, auch umzusetzen. Das sorgte seitdem für viel böses Blut zwischen London und Brüssel.

Sunak, der erst im Oktober ins Amt des Premiers kam, will mit dem adaptierten Abkommen, für das EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen eigens nach London reiste, das vergiftete Erbe hinter sich lassen und sein knappes politisches Kapital dafür einsetzen, was den Briten unter den Nägeln brennt: das kaputte Gesundheitssystem, die marode Infrastruktur, die schleppende Produktivität. Doch dazu muss er die Brexit-Fans aus dem Wolkenkuckucksheim ihrer Illusionen zurück auf den Boden der Realität holen.

Das Problem: Die Brexit-"die hards" mögen mittlerweile nur noch eine Minderheit darstellen, aber die meisten sind eben Tory-Wähler. Die Geschichte der vergangenen Dekade kann deshalb auch als Bürgerkrieg unter den Konservativen um den EU-Austritt gelesen werden; der hat mit David Cameron, Theresa May und Liz Truss bereits drei Regierungschefs ihren Job gekostet (Johnson, der 2019 mit dem Versprechen "Get Brexit Done" gewann, stolperte über seinen Charakter). Es ist nicht ausgeschlossen, dass Sunak das vierte Opfer des Brexit-Dramas wird.

Um das zu verhindern, schreckt der Premier auch nicht davor zurück, König Charles einzuspannen, der kurz vor der Einigung noch die EU-Kommissionspräsidentin zum Tee empfing. Zu den ungeschriebenen Regeln der Monarchie zählt absolute politische Enthaltsamkeit, weshalb die Regierung auch bei hohem Besuch im Palast das Sagen hat.

Das zeigt, wie sehr Sunak bereit ist, jede Unterstützung einzusetzen, die er bekommen oder verordnen kann, um die hochheikle Nordirland-Frage unter Kontrolle zu halten. Ex-Premier Johnson, der Zauberlehrling, liebäugelt schon mit einer Revolution in der Partei. Das zeigt: Wahnsinn, einmal mehrheitsfähig, lässt sich einer Partei nicht so leicht wieder austreiben. Die Tories sind zu einem abschreckenden Beispiel geworden, das international längst Schule macht. An Sunak ist es nun, einer entfesselten Partei Vernunft einzuimpfen. Ansonsten ist es an den Wählern, auch ihre eigenen Verwirrungen zu korrigieren.

Immerhin: Eine Mehrheit im Parlament ist gesichert dank der oppositionellen Labour-Partei, die für die Einigung votieren wird.