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Das weibliche Kapital

Von Judith Belfkih

Leitartikel

Feminismus ist kein Zauberstab - wohl aber eine ökonomische Maßnahme.


Frauen sind keine besseren Menschen. Eine allein von Frauen gestaltete Welt wäre nicht automatisch eine bessere. Fakt ist jedoch, dass Frauen anders an gesellschaftliche Herausforderungen herangehen, Risiken anders bewerten. Studien zeigen, dass die stabilsten, nachhaltig gewinnbringendsten Entscheidungen von ausgewogenen Teams getroffen werden. Diese aus Männern und Frauen bestehenden Gruppen führen, das hat die emeritierte Oxford-Professorin Linda Scott in ihrem Buch "Das weibliche Kapital" herausgearbeitet, vom kleinen Sparverein bis zum Vorstandsteam zu höheren Renditen, geringerem Risiko, fairerem Management und besserem Arbeitsklima - für alle.

Frauen in jeder Lebenslage wirtschaftlich in Unabhängigkeit (von Männern) und in gleichberechtigte Verantwortung zu bringen, ist ein Gewinn für alle, so Scotts zentrale These - auch und vor allem ein ökonomischer.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock hat nun "Leitlinien für eine feministische Außenpolitik" präsentiert. Diese beginnen in Deutschland bei der ausgewogenen Besetzung von Führungspositionen in Ministerien, setzen sich international fort mit der Bewertung von Entwicklungshilfe-Projekten nach feministischen Kriterien und führen zu Schutzprogrammen für gefährdete Wissenschafterinnen, Künstlerinnen und Journalistinnen. "Feminismus ist kein Zauberstab", sagte Baerbock bei der Präsentation. "Wir sind nicht naiv. Wir werden mit einer feministischen Außenpolitik nicht alle Probleme dieser Welt lösen können." Trotz Baerbocks Pragmatismus gilt: Diese Maßnahmen sind mehr als bloß ein aus humanitären Gründen gezimmertes Gut-Menschen-Projekt. Der gesellschaftliche wie wirtschaftliche Nutzen von Maßnahmen, die die Position von Frauen stärken, ist nicht zu unterschätzen - das rechnet auch Scott eindrucksvoll vor. Mit der Gleichstellung der Frau ließen sich einige der teuersten Übel der Welt bereinigen - von Armut über instabile Finanzmärkte bis hin zu den enormen Kosten, die männliche Gewalt verursacht.

Was Baerbock verstanden hat und ihre Maßnahmen widerspiegeln: Frauenpolitik, ja feministische Politik bedeutet mehr als Gewaltschutz. Und selbst Gewaltschutz beginnt politisch beim Bau von Kindergärten, beim Schließen der Lohnschere und beim Kampf gegen die finanziellen Fallstricke von Teilzeit - also mit der finanziellen Souveränität von Frauen.

Das weibliche Kapital - also das, was Frauen auf vielen Ebenen zu einer stabilen Welt des Wohlstandes beitragen können - noch länger brachliegen zu lassen, werden sich Gesellschaften angesichts der komplexen aktuellen Herausforderungen schlicht nicht länger leisten können.