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Geordnet geht es auch

Von Simon Rosner

Leitartikel

Der SPD gelang in der tiefen Krise ein strukturierter Neuaufbau.


Über die nähere Zukunft der SPÖ kann man vorerst wahlweise nur das Orakel von Delphi, Eisenstadt oder Wien befragen. Oder man blickt über die Grenze in Richtung Deutschland. Und zwar in die jüngere Vergangenheit. Die SPD hat einen aus österreichischer Sicht nicht uninteressanten Weg genommen. Erst war da der große Hoffnungsträger Martin Schulz, der die SPD wieder auf Platz eins führte. Allerdings nur in Umfragen. Bei der Wahl verlor er deutlich. Es folgte ein Neubeginn unter Andrea Nahles, der ersten Frau an der SPD-Spitze.

Unter ihrem Vorsitz fuhr die Partei bittere Wahlniederlagen ein, Medien berichteten von wachsendem Druck auf die Parteichefin, ehemalige SPD-Größen meldeten sich vom Balkon aus und lösten eine Führungsdebatte aus. Es bildeten sich Lager, Nahles warnte vor einer Parteispaltung. Ende Mai 2019 erlebte die SPD bei der EU-Wahl ein Debakel, tags darauf schloss Nahles einen Rücktritt aus. Wieder meldeten sich ehemalige Politiker, auch Schulz. Vier Tage später trat Nahles zurück, eine Nachfolge gab es nicht.

Was dann folgte, war ein strukturierter Prozess der Neuaufstellung. Erst wurde bestimmt, dass künftig eine Doppelspitze (ein Mann, eine Frau) die SPD führen soll. Acht Kandidaturen trafen ein, darunter eine von Olaf Scholz (gemeinsam mit Klara Geywitz). Ein halbes Jahr später wurde auf einem Parteitag die neue Spitze von den Mitgliedern gewählt, Favorit Scholz verlor. Ein derartiges Votum war für die SPD nicht neu, kam auf Bundesebene aber nur 1993 vor. Es war ein Risiko. Doch anscheinend blieben keine größeren Verwundungen zurück. Die neue Spitze bestellte Monate später Scholz zum Kanzlerkandidaten, der machte Karl Lauterbach, der sich ebenfalls beworben hatte, zum Minister. Andere Kandidaten sitzen heute im Bundestag.

Was erzählt das der SPÖ? Erstens, dass große Erwartungen in neue Parteichefs enttäuscht werden können, Wahlerfolge für die Autorität einer Parteiführung essenziell sind und ihr Ausbleiben Debatten erzeugt. Das hat die SPÖ mit Christian Kern und Pamela Rendi-Wagner nachgespielt.

Zweitens: Wenn die Hoffnung auf eine Wende weicht, wird der Druck größer, machen Gerüchte die Runde. Und ja, es kommen auch mediale Dynamiken zum Tragen. Das erlebt Rendi-Wagner gerade eben.

Drittens: Der SPD gelang es, einen strukturierten Prozess der Neuaufstellung einzuläuten, der auch strategische Entscheidungen erlaubte, nämlich zum richtigen Zeitpunkt die Spitzenkandidatur zu beschließen. In der SPÖ deutet derzeit alles daraufhin, dass nur noch diese Frage offen ist: Wird es ein strukturierter Prozess oder lässt man, wie bisher auch immer, der Natur der politischen Dynamik ihren freien Lauf?