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Xi Jinpings 24 Zeichen

Von Thomas Seifert

Leitartikel

China tritt unter Xi Jinping nun auch rhetorisch in eine neue Ära.


In 24 Schriftzeichen legte der chinesische Reformer Deng Xiaoping in den 1990ern seine Strategie dar: "Die eigene Position sichernd ruhig beobachten. Den eigenen Angelegenheiten mit Gelassenheit begegnen. Das Licht unter den Scheffel stellen und auf die richtige Gelegenheit warten. Nie die Führungsrolle beanspruchen." Diese "Tao Guang Yang Hui"-Strategie war die Antwort auf die Erschütterung Chinas nach der blutigen Niederschlagung der Tiananmen-Studentenbewegung und des Zusammenbruchs des kommunistischen Systems in Europa und der Sowjetunion. Die Strategie begleitete Chinas Aufstieg und bot einen Pfad zwischen der Wahrung des nationalen Interesses der Volksrepublik China und der Integration ins internationale Wirtschaftssystem.

Xi Jinping hat nun diesem Lehrsatz seine eigene 24-Zeichen-Strategie gegenübergestellt: "Ruhig bleiben - aber entschlossen. Nach Fortschritt streben, einig sein und kämpferisch." Das wird nach einer Analyse von Moritz Rudolf, einem Forscher am Paul Tsai China-Zentrum der Yale Universität, zum neuen Mantra der chinesischen Außenpolitik.

Nach dem Ende der Sitzung des Nationalen Volkskongresses, der Xi Jinping eine dritte Amtszeit gewährt hat, wird klar, dass China nun auch rhetorisch in eine neue Ära eintritt: Die US-Sinologin C. Elizabeth Economy hat bereits im Jahr 2019 in ihrem Buch "The Third Revolution - Xi Jinping and the New Chinese State" die scharfsichtige These aufgestellt, dass nach der kommunistischen Revolution Mao Zedongs und Deng Xiaopings "Reform und Öffnung"-Revolution mit Xi Jinping eine dritte, Neo-Leninistische Revolution mit chinesischer Charakteristik begonnen hat.

Das recht amikale Treffen zwischen Xi Jinping und dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama in Sunnylands in Kalifornien im Jahr 2013 ist längst vergessen, der Ton zwischen beiden Supermächten wurde nach Donald Trumps Wahl zum 45. Präsidenten der USA rauer. Dazu kommt, dass der Führung in Peking das Feindbild USA als Ablenkung von der wirtschaftlichen Malaise, die im Gefolge des verbissenen Festhaltens an Null-Covid entstanden ist, gerade recht kommt.

Angesichts der Spannungen zwischen China und dem Westen sind für das Reich der Mitte wirtschaftlich turbulentere Zeiten zu erwarten: Schon jetzt verlagern westliche Konzerne ihre Produktionsstätten nach Indien, Mexiko und Südostasien. In einem "New York Times"-Leitartikel wurde am Wochenende argumentiert, die beste Garantie für die Sicherheit der USA seien Wohlstand und gute Beziehungen mit dem Rest der Welt, und das gelte auch für China. Bleibt nur zu hoffen, dass die politischen Eliten in Washington und Peking Leitartikel lesen.