Die Ruhe vor dem Sturm will als Bild nicht ganz passen. Auch die Stille vor dem Erdrutsch nicht. Die Ebbe des ablaufenden Wassers vor dem Tsunami? Vielleicht. Was feststeht: In der österreichischen Innenpolitik knistert es im Gebälk, brodelt es von den Basen bis in die Spitzen - und das nicht nur bei einer Partei. Dass hier gröbere Umwälzungen bevorstehen, bestreitet niemand. Die türkis-grüne Bundesregierung würde bei Neuwahlen keine Mehrheit mehr bekommen. Die Koalition ist also mit einem Ablaufdatum versehen - spätestens 2024 ist Schluss.

Dass sich die ÖVP dessen bewusst ist, zeigen mehrere Aktionen, aus denen Wahlkampf und Sondieren neuer alter, wenn auch ungeliebter Partnerschaften aufblitzen. Da verhandeln in Niederösterreich plötzlich wieder Schwarz und Blau miteinander - und machen aus ihrem Unbehagen dabei gar kein Geheimnis. Was tut man nicht alles für sein Land. Und da ist die Rede von Karl Nehammer, die als Versuch zu lesen ist, die Partei für den bevorstehenden Wahlkampf hinter sich zu einen und mit beliebten konservativen Positionen wenig Raum nach rechts zu lassen. Die Tatsache, dass Nehammer hier als Parteichef und nicht als Kanzler auftrat, lässt sich auch als Kapitulation vor der Koalition deuten. Schließlich liegen einige zentrale Punkte unerledigt auf dem Regierungstisch. Nur wer seine Themen in der Regierung nicht durchbringen kann, muss extern dafür werben. Auch die Grünen sind zögerlicher geworden und kalkulieren genauer, wie viel inhaltliche Kompromissbereitschaft sie in Hinblick auf die kommenden Wahlen und damit ihre Basis noch verkraften können. Der aktuellen Verlangsamung im politischen Geschehen ist beides nicht förderlich. In Krisenzeiten grenzt dieses sich andeutende Patt an Fahrlässigkeit.
Doch die abwartende Unruhe setzt sich jenseits der Regierung fort. Die SPÖ zerfleischt sich gerade in einer Führungsdebatte, hinter der man kaum inhaltliche Linien erkennen kann. Dass die Partei mit Pamela Rendi-Wagner in den Kampf ums Kanzleramt ziehen wird, kann sich kaum jemand vorstellen. Doch die Alternativen sind offen - personell, strukturell und vom Timing.
Die einzigen stabilen Parteien sind aktuell die FPÖ, die sich mit klassischen Themen vom veritablen Ibiza-Absturz mehr als nur erholt hat, und die Neos, die zumindest als kampfbereite Opposition klar Position beziehen. Eine neue Achse der Stabilität werden die beiden kaum schmieden.
Was bleibt, ist eine politische Landschaft voller Unruhe und Verunsicherung, in der es offensichtlich brodelt, sich aber (noch) niemand mit Veränderung aus der Deckung wagt. Für ein Land in Krisenzeiten sind das keine guten Nachrichten. Denn Angst, als Reaktion auf Verunsicherung, war nie eine gute Ratgeberin - schon gar nicht an der Wahlurne.