Zum Hauptinhalt springen

Eskalierender Drohnenkrieg

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Das Ende der asymmetrischen Kriegsführung in der Ukraine.


Nun fühlt sich Moskau also so an wie Kiew. BBC-Korrespondent Steve Rosenberg schrieb am Dienstag auf Twitter: "6:24 Uhr, im Nordwesten Moskaus. Ich hörte eben in der Ferne eine Explosion, die Glasscheiben klirrten. Eben noch eine. Das erstemal, dass mein Tag so begonnen hat."

Wie schon am
3. Mai, als eine Drohne über dem Kreml in Moskau explodierte, gab es rasch Spekulationen über die Herkunft und das mögliche Ziel dieser Drohnenangriffe auf Moskau.

Zuvor war Kiew von mindestens 20 Drohnen russischer Herkunft angegriffen worden, am Montag wurde Kiew sogar untertags das Ziel russischer Luftangriffe.

Für politische Beobachter im Westen ist die Lage einigermaßen unübersichtlich: Spielen die staatlichen russischen Medien die Drohnenangriffe herunter, weil sie ein Beleg dafür sind, dass die russische Flugabwehr Lücken aufweist oder die Ukraine über Drohnentechnologie verfügt? Oder sind - schon weniger plausibel - die Drohnenangriffe eine False-Flag-Operation mit dem Ziel, die russische Bevölkerung psychologisch auf eine weitere Eskalation des Krieges gegen die Ukraine vorzubereiten?

Galten die Angriffe den Nobelvierteln, in denen die Machteliten um Präsident Wladimir Putin wohnen, oder waren die Attacken vor allem ein Element der psychologischen Kriegsführung, die dazu dienten, den Krieg in das Herz des russischen Staates zu tragen?

Bisher erinnerte der Krieg aus der Luft eher an asymmetrische Kriegsführung. Russland verfügt über ein riesiges Arsenal an Lenkwaffen, die von Schiffen, von Landstützpunkten oder von Flugzeugen aus auf Ziele in der Ukraine abgefeuert werden können. Darüber hinaus musste die russische Armee bislang kaum damit rechnen, dass die ukrainische Seite auf die Angriffe reagieren kann.

Gut möglich, dass die Ukraine den Zeitpunkt für gekommen hielt, Moskau klarzumachen, dass sich das Zeitfenster dieser asymmetrischen Drohnen- und Raketen-Kriegsführung schließt und die Ukraine nun nach dem Codex Hammurapi - "Auge um Auge, Zahn um Zahn" - Krieg führen wird. Die Botschaft: Jeder Angriff auf Kiew könnte mit einem Angriff auf Moskau beantwortet werden.

Das Kalkül: Wenn die Bevölkerung in Russland selbst die Kosten des Krieges zu spüren bekommt, dann steigt die Kritik an diesem Krieg und damit die Bereitschaft Moskaus, den Krieg zu beenden oder zumindest zu deeskalieren.

Eine riskante Strategie: Werden zivile Ziele tief im russischen Hinterland getroffen, dann riskiert die Ukraine, Unterstützer im Westen zu verlieren.

Einmal mehr bleibt der Ukraine die Wahl zwischen Skylla und Charybdis.