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Genug gekreuzigt

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Endlich ausgestanden. Man muss nicht eschatologisch angehaucht sein, um ein Gefühl der Erlösung zu empfinden, dass der Abschied Christian Wulffs aus dem Amt des Bundespräsidenten endlich vollzogen ist. Für Wulff, aber mindestens so sehr auch für das Ansehen des Amtes und der gesamten Politik.

Ja, Wulff war den moralischen - und damit auch politischen - Anforderungen als Staatsoberhaupt Deutschlands nicht gewachsen. Ja, es war richtig, dass er zurückgetreten ist. Und ja, die auf ihn medial niederprasselnde Kritik war in ihrem Kern berechtigt (ihre Substanz im Sinne des Strafrechts zu prüfen, ist nun die Angelegenheit der Gerichte).

Aber Häme und Spott, mit denen der gefallene Aufsteiger in den vergangenen Wochen bedacht wurde, haben jegliches Maß für Verhältnismäßigkeit verloren. Die Berichterstattung der vergangenen Tage drehte sich nur noch darum, den endgültigen Abgang als einzige große Demütigung zu inszenieren. Und Wulff ist hierfür beileibe nicht das einzige Beispiel.

Woher kommt diese ungehemmte Lust, auf einen ohnehin bereits auf dem Boden Liegenden noch weiter hinzutreten, diesen auch noch der letzten Reste seiner Würde als Mensch und Politiker zu berauben? Wulff hat gesündigt, und dafür muss er - und soll er auch - büßen. Aber muss deshalb jede einzelne Absage der Teilnahme am Zapfenstreich genüsslich aufgezählt und hämisch bejubelt werden? Nicht nur von Kabarettisten und Krawallblättern wohlgemerkt, die sich an der eigenen Unangreifbarkeit ergötzen, sondern auch von der seriösen Presse.

Öffentliche Hinrichtungen hatten zu allen Zeiten ihren ganz eigenen Reiz - für die Eliten wie für die Massen. Heute werden sie unter aufgeklärten Menschen wenigstens nur noch im virtuellen Raum vollzogen. Immerhin ein Fortschritt. Ein archaisches Ritual, bei dem es einzig und allein um die Vernichtung des Delinquenten geht, bleibt es dennoch.

Was so verstört, ist die ungezügelte Bereitschaft der Politik, bei diesem Kesseltreiben mitzumachen, solange es nur niemanden aus dem eigenen Lager betrifft. Schadenfreude benebelt die Sinne. Denn im Kern verlässt das Spielfeld regelmäßig die gesamte politische Klasse als Verlierer. Mit dem Ruf der Personen verlieren auch die Institutionen einen weiteren Teil ihres ohnehin bröckelnden Ansehens.