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Gefühlt schuldig

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Die Suppe war zu dünn, befand der Richter und sprach den angeklagten Grafen vom Vorwurf der Geldwäsche frei. Aus Mangel an Beweisen (der Schuldspruch für Beweismittelfälschung sei hier nicht unterschlagen). Dass er ihn dennoch für schuldig erachtet, damit hielt der Richter bei der Erläuterung seines Wahrspruchs nicht hinter den Berg: "Die Sache stinkt, sie stinkt sehr, aber sie stinkt nicht genug."

Rechtlich unschuldig, dafür aber moralisch schuldig. Also sprach Richter Stefan Apostol über Alfons Mensdorff-Pouilly.

Das kommt, mit Verlaub, der Pervertierung rechtsstaatlicher Prinzipien gleich - und nicht der unwichtigsten, sei angefügt. Ein Freispruch, auch wenn er im Zweifel erfolgt, bleibt ein Freispruch. Indem der Richter seine Zweifel hervorstreicht, verwandelt er das Urteil in einen gefühlten Schuldspruch. Es geht nicht mehr um die Tat, sondern nur noch um die Person, die auf der Anklagebank sitzt. Das ist ein justizpolitischer Rückfall um Jahrzehnte. Mindestens.

Mag sein, dass der Richter richtig liegt mit seiner Vermutung, die einer Behauptung sehr nahekommt, dass der Angeklagte nur Glück gehabt habe, dass sich die Beweise nicht erhärten ließen. Nur gibt ihm das allein noch nicht das Recht, es in dieser Form und bei dieser Gelegenheit - der Urteilsverkündung- zu sagen. Das ist das Vorrecht der Kommentatoren, der Beobachter, der Bürger, der Parteien - also praktisch aller, mit Ausnahme des Richters.

Dies ist kein Plädoyer für die kleinen und großen Gauner, die einer Verurteilung aus Mangel an Beweisen entgehen. Es ist ein Plädoyer, die fundamentalen Spielregeln des Rechtsstaats auch dann zu beachten, wenn das Bauchgefühl der Beweislage widerspricht. Wer, wenn nicht zumindest die Richter sollten sich daran halten?

Richter seien nicht länger "Diener des Rechts", sondern kreative "Pianisten", die variantenreich auf der Klaviatur der Gesetze spielen würden, hat der ehemalige Präsident des deutschen Bundesgerichtshofs Günter Hirsch formuliert und damit eine neue Rollenteilung zwischen Parlamenten und Gerichten bei der Weiterentwicklung des Rechtsstaats problematisiert. Selbstverständlich braucht jeder Richter, ob am Höchstgericht oder im Bezirksgericht, ein ausreichendes Maß an Freiheit bei seiner Entscheidungsfindung. Ein Freibrief zum gefühlten Schuldspruch ist damit eher nicht verbunden.