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Russlands Gaswaffe

Von Thomas Seifert

Leitartikel

In der Ukraine ist der europäische Traum quicklebendig. Als die Regierung in Kiew unter Führung von Präsident Viktor Janukowitsch ein lange verhandeltes Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union unter russischem Druck auf Eis legte, gingen die Menschen in der Hauptstadt auf die Straße. Voller Trotz schwenkten sie die azurblauen Fahnen mit dem Kranz aus zwölf fünfzackigen Sternen, für diese Demonstranten in Kiew ist die Ukraine ein europäisches Land. Die ukrainischen Pro-Europäer verdienen die Sympathie und Unterstützung aller europäischen Bürger, der europäischen Regierungen und der EU-Spitze in Brüssel.

Die Ukraine ist jenes Land, in dem Europa nach Osten hin ausfranst, ein klassisches Brückenland zwischen Osteuropa und der Russischen Föderation. 17,3 Prozent der Bevölkerung von 46 Millionen Menschen sind ethnische Russen, die vor allem im Osten des Landes leben. Die Interessen dieser Bevölkerungsgruppe, die eher nach Moskau schielt, gilt es zu berücksichtigen.

Aber wenn die Ukraine nicht als bloßer Vasallenstaat Moskaus enden will, dann ist eine engere Anbindung an Brüssel die einzige Alternative. Gleichzeitig zeigte sich wieder einmal, dass Moskau nie darum verlegen ist, im Ernstfall die Gaswaffe einzusetzen, frei nach der Devise: Russlands Gegner überwintern bei Dunkelheit mit kaltem Hintern.

Die Konsequenzen für Europa?

Erstens: Die Europäische Union braucht endlich eine klare Energiestrategie und muss sich aus der Abhängigkeit vom russischen Energieriesen Gazprom befreien (fast 40 Prozent der europäischen Gasimporte stammen aus Russland). Zweitens: Das Gejammere über die angeblich astronomischen Stromkosten wegen der angeblich zu hohen Subventionen für erneuerbare Energien ist kurzsichtig und strategisch gefährlich. Denn wenn die Wahl lautet, ob man lieber etwas teurere Energie mit Windmühlen aus Dänemark auf dem europäischen Kontinent erzeugt oder Milliarden von Euro direkt an die Petro-Oligarchen in Moskau und St. Petersburg für etwas billigere russische Gaslieferungen überweist, sollte die Antwort auf der Hand liegen. Die Zahlen der Handelsbilanz der EU-27 mit Russland sprechen eine deutliche Sprache: 2011 betrug das Handelsbilanzdefizit 91 Milliarden Dollar, drei Viertel der Einfuhren aus Russland betrafen Energie.