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Berliner Phantomschmerzen

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert.

Bei den deutschen Unternehmerverbänden ist niemand glücklich über das von CDU/CSU und SPD ausverhandelte 185 Seiten umfassende Koalitionsübereinkommen. Die Reformen in der Arbeitsmarkt- und Pensionspolitik würden zunichte gemacht, Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer kritisiert den paktierten Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, der "bedauerliche Bremsspuren auf dem Arbeitsmarkt hinterlassen" werde. Ein weiterer Stein des Anstoßes für die Arbeitgebervertreter: die ebenfalls zwischen CDU/CSU und SPD vereinbarte Pension mit 63 Jahren. Jene, die da kritisieren, werden offenbar von Phantomschmerzen der vom Wähler bei der Bundestagswahl am 22. September unbarmherzig amputierten FDP geplagt.

Der Koalitionsvertrag für die 18. Legislaturperiode trägt eben auch die Handschrift der SPD, deren Vorsitzender Sigmar Gabriel in einer taktischen Meisterleistung - er hängte das Damoklesschwert eines Votums aller 400.000 SPD-Mitglieder an die Decke - der zähen Verhandlerin Angela Merkel bedeutende Zugeständnisse abringen konnte.

Doch was für die deutschen Arbeitgeberverbände ein Grund zur Sorge ist, kann für Europas Wirtschaft ein Segen sein: Gerade Exportweltmeister und Leistungsbilanzüberschuss-Rekordhalter Deutschland könnte Europa Nachfrageimpulse bringen. Denn solange der Konsum in der wichtigsten Wirtschaftsmacht der EU nicht anspringt, werden die Unternehmen auch nicht investieren und neue Jobs schaffen.

Mit sparen, sparen, sparen - das haben die Krisenjahre seit 2008 gezeigt - kommt man eben nicht aus der Krise.

Und so ist es auch nicht überraschend, dass bedeutende Investitionen im Infrastrukturbereich geplant sind: Der bedauernswerte Zustand mancher deutscher Autobahnen, die Probleme im Bahnverkehr und die Sperre einzelner Brücken für den Lkw-Verkehr wegen Baufälligkeit rücken in den Blickpunkt, dass Berlin zu lange zu wenig in die Verkehrsinfrastruktur des Landes investiert hat. Fünf Milliarden Euro bis 2017 wurden nun versprochen - Experten halten das allerdings für Utopie.

Die Südeuropäer werden enttäuscht sein: Sie haben wohl gehofft, dass mit einem Regierungseintritt der SPD der strikten Austeritätspolitik in Europa ein Ende gesetzt wird. Doch im Euro-Krisenmanagement hat Merkel sich voll durchgesetzt.