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Wähler sind keine Ja-Sager

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Der General, der unbedingt Staatschef werden will, schafft mit Müh und Not 44 Prozent Wahlbeteiligung; womöglich sind es nicht einmal 40 Prozent; dabei wäre eine hohe Wahlbeteiligung so wichtig gewesen für Abdel Fattah al-Sisi, den General, der jetzt Ägyptens Präsident wird. Wer sich an die Macht putscht, seinen Vorgänger ins Gefängnis stecken und dessen Partei verbieten lässt; wer sich als nationalen Retter inszeniert, ja als Mensch gewordene Sehnsucht eines ganzen Volkes, der braucht tatsächlich eine ordentliche Wahlbeteiligung als politische Legitimation wie der Hungernde einen Bissen Brot.

In Europa gab es diese Woche das große Aufatmen, als feststand, dass die Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl nicht noch weiter nach unten fiel. Mit 43 Prozent blieb sie weitgehend stabil auf dem Niveau der vorangegangenen Wahl 2009.

Auch das EU-Parlament hätte eine höhere Wahlbeteiligung im sich nun zuspitzenden Machtkampf mit den nationalen Regierungschefs gut gebrauchen können. Allein die Wähler haben sich dem verweigert. Jetzt sind die Abgeordneten auf ihr eigenes politisches Geschick angewiesen. Was die demokratische Legitimation angeht, haben die EU-Mitgliedsstaaten weiter die Nase vorn. Ob aus Überzeugung, Unwissenheit oder Protest ist eine andere Frage. In der Demokratie zählt auch das Faktum der Entscheidung.

Es ist ein Zeichen politischer Liberalität, wenngleich von ihrem negativen Ende her gedacht, wenn Bürger die Möglichkeit haben, nicht an Wahlen teilzunehmen. Die 99 Prozent, die etwa in Nordkorea regelmäßig ihren grausamen Diktator bestätigen müssen, haben diese Freiheit jedenfalls nicht. Und es gibt noch etliche Beispiele, wo Zustimmung Pflicht ist.

Im demokratischen Westen haben wir es geschafft, dass Wählen dank der ökonomischen Theorie der Politik mittlerweile als ein irrationaler Akt erscheint (nach Anthony Downs übersteigt der Aufwand den möglichen Nutzen für den Einzelnen).

Die Wahrscheinlichkeitsrechnung bestätigt dies, doch die Idee vom Wählen als (ir)rationaler Akt profanisiert die Demokratie als kühle Kosten-Nutzen-Überlegungen. Kein Wunder, dass Untersuchungen in den USA ergeben haben, dass die Wahlbeteiligung umso niedriger ausfällt, je öfter zuvor über dieses "Paradox des Wählens" geredet wurde. Zu viel Wissen kann mitunter einer guten Sache schaden.