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Befreit

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Dick Cheneys Prophezeiung könnte sich doch noch erfüllen, allerdings anders, als sich das der damalige US-Vizepräsident seinerzeit, im Jahr 2003, wohl vorgestellt hat: "Wir werden als Befreier begrüßt werden", orakelte der neokonservative Mastermind der Bush-Administration anlässlich der US-Invasion im Irak.

Der Sturz von Saddam Hussein hat sich tatsächlich als Befreiung herausgestellt, allerdings nicht der irakischen Bürger von der Herrschaft einer brutalen säkularen Diktatur. Befreit wurden stattdessen all jene Kräfte, die seitdem die gesamte Region in einen blutigen Kreislauf religiös motivierter Gewalt getrieben haben. Elf Jahre nach der Invasion und dreieinhalb Jahre nach dem offiziellen Abzug des letzten US-Soldaten stehen islamistische Kämpfer aus dem syrischen Bürgerkrieg einige Dutzend Kilometer vor der irakischen Hauptstadt Bagdad mit dem Ziel der Schaffung eines grenzüberschreitenden islamistischen Kalifats.

Der erzwungene Regimewechsel im Zweistromland hätte eigentlich eine Kettenreaktion der Demokratisierung der gesamten islamischen Region auslösen sollen, die schließlich auch das Tor für eine Lösung des fast schon ewigen israelisch-palästinensischen Konflikts eröffnen sollte. So jedenfalls fantasierten sich die US-Neocons die Zukunft schön.

Dieser Traum mündete in einem Trümmerhaufen mit Millionen Flüchtlingen: Der Irak steht vor dem endgültigen Zerfall als staatliche Einheit; im einst stabilen, aber weltlich-diktatorisch regierten Syrien tobt ein blutiger Bürgerkrieg; Libyen durchleidet praktisch das gleiche Schicksal; Ägypten hat im Schnellverfahren seine alte Militärdiktatur über den Umweg einer gewählten islamistischen Regierung durch eine neue Herrschaft der Uniformträger ersetzt; und der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern ist von einer Lösung so weit entfernt wie eh und je. Ausgerechnet im Verhältnis des Westens zum Iran zeichnet sich eine Veränderung zum Besseren ab, aber auch dies ist noch lange nicht fix.

Der Irak hat sich tatsächlich als Dominostein erwiesen: Seit dem Sturz Husseins blieb in der islamischen Welt kein Stein auf dem anderen. Und der Westen, zuvorderst die USA, steht ratlos vor der Frage, wie die unseligen Geister, die er mithalf zu entfesseln, wieder zurückgedrängt werden könnten. Die USA brauchen einen neuen Plan. Mit Rückzug wird es nicht getan sein.