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Schuld und PR

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

In der Causa Rakhat Alijew tobt seit Jahren ein juristischer Kampf auf Biegen und Brechen. Dabei würden eigentlich die wechselweisen Vorwürfe besser zu einem Drehbuch aus Hollywood passen, nur dass hier die Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht bis zur Unkenntlichkeit verwischt wird.

Das allein macht die Causa nicht besonders. Bemerkenswert ist der Fall Alijews, des einstigen Schwiegersohns von Kasachstans autoritär regierendem Präsidenten Nasarbajew, deshalb, weil sichtbar wird, wie sich die Natur juristischer Auseinandersetzung verändert, ja entgrenzt hat. Akteure sind nicht länger nur Rechtsanwälte und Justizbehörden, die Arena nicht mehr nur Gerichtssäle. Im Visier spezialisierter Agenturen ist die breite Öffentlichkeit, die für oder eben gegen den Beschuldigten in Beschlag genommen werden soll. "Litigation-PR" nennt sich die noch relativ neue Branche, die sich der Stimmungsmache in einem Rechtsstreit widmet. Politiker werden dabei genauso zum Objekt der versuchten Beeinflussung wie Journalisten, Richter oder Staatsanwälte.

Hinter diesem Konzept steckt die These, dass Schuld und Unschuld fast beliebig verhandelbar sind. Und dass die öffentliche Meinung bei der Entscheidungsfindung mindestens so wichtig ist wie die harten juristischen Argumente vor einem ordentlichen Gericht. Weil sich auch die Justiz nicht der ungeheuren Sogwirkung veröffentlichter Stimmungslagen entziehen kann.

Diese Logik ist durchaus rational, und ihre Wirksamkeit kann durch Beispiele aus der Realität belegt werden. Auch in den Roben von Richtern und Anklägern stecken nur Menschen, und nur die wenigsten von uns haben die Kraft, ständig gegen den Strom medialer Vorverurteilungen zu schwimmen.

Dass sich aus der bewussten Manipulation der Öffentlichkeit im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten mittlerweile ein lukratives Geschäftsfeld entwickelt hat, erfordert wirksame Gegenstrategien der Zielobjekte dieser Instrumentalisierungsversuche. Das höchste Gut von Medien wie Justiz gleichermaßen ist ihre Unabhängigkeit in den Augen der Bürger. Wer hier im Geruch steht, sich vor den Karren anderer spannen zu lassen, begeht ein Verbrechen. Nicht nur rein abstrakt, als Verstoß gegen irgendeine Norm. Sondern ganz grundsätzlich an den Grundprinzipien unserer Gesellschaft.