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Das Ende einer guten Idee

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Manch gute Idee kann sich nur einer kurzen Blüte erfreuen. Dann wird sie von den neuen Zeiten hinweggefegt.

So ungefähr ergeht es derzeit der Vorstellung einer Privatsphäre, die vor zudringlichen Blicken Außenstehender unbedingt geschützt werden soll. Es schaut nicht so aus, als ob sich auch noch die heute Jungen in ihrem Schutz bewegen könnten: Der Rückhalt für diese romantische Idee, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ihre größte Wirkungsmacht entfalten konnte, schwindet mit geradezu atemberaubender Geschwindigkeit. Die aktuelle Debatte über das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patienten ist dabei nur das jüngste Beispiel einer langen Reihe von Grenzverschiebungen.

Sicher, noch stellen sich Paragrafen entgegen: Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch und die Europäische Menschenrechtskonvention treffen Vorkehrungen für den Schutz der Privatsphäre, und es existiert eine umfangreiche Judikatur der Höchstgerichte. Aber das sind abstrakte Prinzipien, die Realität weist in eine andere Richtung.

Der Staat argumentiert seine Neugier nach Details aus unserem Leben natürlich mit den Vorteilen, die sich daraus gewinnen ließen: Schutz vor Terroristen und Steuersündern etwa. Dass die privaten finanziellen Verhältnisse ein schützenswertes Gut sein könnten, zog gegen die Überzeugung, dass maximale Transparenz der höhere Wert sei, hoffnungslos den Kürzeren.

Die Lust des Staats nach Informationen ist altbekannt, relativ neu hingegen ist die Bereitschaft der Bürger, noch ihr Innerstes unerzwungen nach außen zu kehren. Diese ungehemmte Freizügigkeit in der virtuellen Welt lässt sich nicht einfach mit dem Hinweis erklären, dass es eben noch am "richtigen Umgang" mit den Neuen Medien fehle. Wahrscheinlicher ist schlicht, dass das Bedürfnis, Privates auch wirklich privat zu halten, dem Lebensgefühl einer abdankenden Epoche entspricht, die nicht mehr so recht zur neuen Zeit passen will.

Da ist es nur konsequent, wenn auch die letzten Bastionen der Privatsphäre, das gesetzlich geschützte Vertrauensverhältnis zu Ärzten oder Priestern, infrage gestellt werden. Alles natürlich nur, um unsere Sicherheit zu erhöhen.

Womöglich muss die Idee der Privatsphäre ganz verschwinden, bevor eine neue Generation entdeckt, dass Freiheit mit ihr besser gedeiht als ohne sie.