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Jetzt noch d'Reblaus...

Von Thomas Seifert

Leitartikel

Mit Heurigenliedern soll der Legende nach der damalige österreichische Bundeskanzler Julius Raab bei den entscheidenden Staatsvertragsverhandlungen in Moskau dafür gesorgt haben, dass die Sowjets sich den Staatsvertrag schöntranken und auf einen Hinweis auf Österreichs NS-Vergangenheit und Kriegsschuld in der Präambel des Dokuments verzichteten. Außenminister Leopold Figl soll die oft zitierten Worte dem Zither spielenden Kanzler ins Ohr geflüstert haben, während die Sowjets - schon vom mitgebrachten Grünen Veltliner angeheitert - vor Rührung weinend beinahe zerflossen. So wurde diese Szene jedenfalls in einer zeitgenössischen Karikatur in der Münchner Zeitschrift "Simplicissimus" dargestellt.

Die Realität war nicht ganz so romantisch - in der Zeit des Blockkonflikts zwischen Ost und West war die sprichwörtliche Neutralisierung Österreichs ein für Amerikaner und Sowjets akzeptabler Kompromiss. Österreich war damals nur ein kleiner Bauer auf dem geopolitischen Schachbrett in der Partie zwischen USA und UdSSR. Immerhin war die österreichische Außenpolitik klug genug, die Gunst der Stunde zu nutzen: Nach dem Tod Josef Stalins 1953 und einem neuen Präsidenten im Weißen Haus in Person von Dwight D. Eisenhower verbesserte sich das Gesprächsklima zwischen Sowjets und Amerikanern deutlich. Ein Staatssekretär namens Bruno Kreisky agierte damals geschickt hinter den Kulissen und hatte auch innenpolitische Hürden zu überwinden: Er musste seine SPÖ-Genossen von ihrer kompromisslosen anti-sowjetischen Linie abbringen.

Die Neutralität findet sich im am 15. Mai 1955 unterzeichneten österreichischen Staatsvertrag mit keinem Wort - doch ging es den Großmächten bei den Vertragsverhandlungen genau darum. Sie wurde erst am 26. Oktober 1955 vom Nationalrat eines freien Österreich erklärt. Nach dem Ende des Blockkonflikts nach 1989 und dem EU-Beitritt Österreichs 1995 äußerten manche Politiker Zweifel am Sinn der Neutralität. Doch das Wiederaufkeimen der Animositäten zwischen Ost und West nach Russlands Annexion ukrainischen Territoriums und der Verfall demokratischer Sitten in Ländern in der unmittelbaren Nachbarschaft Österreichs zeigen, dass es nach wie vor Bedarf an einem ehrlichen Makler im Herzen Europas gibt. Und belegt zudem, dass es angesichts all der Krisen wieder allerhöchsten Bedarf an einer aktiven Neutralitätspolitik gibt. Das Dumme ist nur: Die Reblaus wird nicht reichen.