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Wer will Deutscher sein?

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

Wer europäischen Politikern in diesen Tagen zuhört, zweifelt an ihrem Verstand. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble meinte süffisant, viele in der deutschen Bundesregierung seien nach wie vor der Meinung, ein "Grexit" wäre die bessere Lösung. Der Internationale Währungsfonds hat schon am Samstag der Eurogruppe ein Papier vorgelegt, wonach Griechenlands Schulden nicht mehr tragfähig sind. Damit nahm sich der IWF aus der Verantwortung, und den Euro-Regierungschefs war dieses Papier auch noch egal.

Dazu kommt nun noch eine offenkundig zerstrittene EZB, die den griechischen Banken kein frisches Geld mehr gibt. Womit es in Kürze egal wäre, ob die Mehrwertsteuer in Griechenland angehoben wird. Wer pleite ist, kann 13 Prozent nicht zahlen und 23 Prozent auch nicht.

Tatsächlich beginnt die lange Schließung der griechischen Banken, die dortige Wirtschaft endgültig abzuwürgen. Und wenn dann eine Bank "abgewickelt" werden muss, sind auch Sparguthaben beim Teufel.

Ob dieser Vertrauensverlust in anderen Euroländern so glimpflich abgeht wie derzeit dargestellt, weiß niemand. Dass die USA ihren Finanzminister nach Frankfurt, Berlin und Brüssel schicken, ist immerhin ein Indiz dafür, dass es nicht alle so entspannt sehen.

Auch in Paris und Rom steigt die Nervosität, weder Präsident François Hollande noch Premier Matteo Renzi wollen ein "deutsches Europa" - und Europa funktioniert auch nicht so. Das mag man bedauern, es ist aber nicht zu ändern. Der Euro ist nicht die D-Mark, aber auch nicht die Lira oder der Franc. Es ist der Euro und die Idee war, aus der Summe aller mehr zu machen.

Das ist bisher gelungen, Deutschland hat davon den mit Abstand höchsten Profit eingesackt. Nun erklärt Herr Schäuble, alle müssten es so machen. Das ist unmöglich, volkswirtschaftlich sowieso, doch auch, um es sehr polemisch zu formulieren: Wer außerhalb Deutschlands in Europa will Deutscher sein?

Alexis Tsipras hat mit seinem naiv-idealistischen Vorgehen viele politische Fehler gemacht, doch er hat Europa eines neu gezeigt: Wie die Deutschen stur an Regeln festzuhalten, ist wie segeln bei schwacher Brise. Wenn der Wind zum Orkan wird, muss der Steuermann unkonventionell und flexibel sein - sonst kentert das Boot samt allen, die darin sitzen.