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Angst ist fehl am Platz

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

Man dürfe Muslime nun nicht unter Generalverdacht stellen, ist von vielen Politikern nach den Pariser Anschlägen zu hören. Der ebenfalls geäußerte Satz, dass in Europa nun niemand mehr sicher sein kann, ob nicht in der U-Bahn oder in Konzertsälen Terroristen mit Sprengstoffgürteln daneben sitzen, ist nicht angetan, diesen Verdacht zu unterdrücken.

Europa ist unsicherer geworden durch den IS-Terror. Auch der CIA-Chef sprach von Anschlägen, die diese Terror-Organisation "noch in der Pipeline" habe. Nicht gerade beruhigende Sätze.

Nun sind auch nicht alle Katholiken unter Generalverdacht gestellt worden, als die nordirische IRA ihre Bomben zündete, doch sowohl aus politischen als auch religiösen Gründen sollten die muslimischen Vereinigungen in der Öffentlichkeit tätig werden.

Denn der IS-Terror richtet sich wahllos gegen Menschen, deren "einziges Verbrechen ist zu leben", wie es Frankreichs Präsident Hollande genannt hat. Die IS-Anführer, fernab jeglicher staatlicher Souveränität, wollen Unsicherheit verbreiten. Sie wollen Völker und Religionsangehörige auseinanderdividieren. Sie wollen in Europa Hass gegen den Islam schüren.

Diesem pathologischen Hass muss die Gesellschaft begegnen - und zwar mit dem Gegenteil davon. So wie sich die Pariser ihre Straßen nicht wegnehmen lassen, so wie mit einer internationalen Schweigeminute am Montag die Welt darauf reagierte, so muss jeder Einzelne reagieren. Dies ist eine freie Gesellschaft, vor der niemand Angst zu haben braucht.

Muslimische Vereine und Moscheen in Europa sollten hier in erster Reihe zu finden sein. Öffnung und frei zugängliche Veranstaltungen könnten so ein Gegenentwurf sein auf die Idee von ein paar IS-Verrückten.

Die Weltpolitik, so zynisch das klingen mag, zeigt erstmals Ansätze, die Mut machen. In Istanbul (beim G20-Treffen) wollten sich die Präsidenten der USA und Russlands eigentlich ein paar Unfreundlichkeiten an den Kopf werfen. Freitag Nacht änderte alles. Obama hat recht, dass Moskau und Teheran um nichts sicherer sind als Paris. Das heutige Fußballspiel zwischen England und Frankreich in London wird eine politische Demonstration, das Ergebnis wird keine Rolle spielen. Denn eines hat Paris gelehrt: Je größer der angstfreie Raum, desto kleiner das IS-Territorium.