Zum Hauptinhalt springen

Utopien sind gefragt

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

Das Wirtschaftswachstum könnte heuer erstmals seit Ausbruch der Finanzkrise 2008 wieder über 2 Prozent steigen. Die Wirtschaftsforscher geben sich optimistisch, das ist doch gut.

Nun soll nicht gemosert werden, wenn gute Nachrichten kommen, immerhin wird der Anstieg der Arbeitslosigkeit auch gestoppt, während gleichzeitig die Gesamtbeschäftigung zulegt. Es soll aber die Frage gestellt werden: Wem kommt dieses Wachstum zugute? Faktum ist, dass in den vergangenen 20 Jahren - und diese umfassen gute und schlechte Zeiten - die Masseneinkommen netto kaum gestiegen sind, Unternehmensgewinne und Vermögen aber sehr wohl.

Nein, das wird kein klassenkämpferischer Kommentar. Es ist wahr, dass die Regulierungen zu dicht sind und die Steuer- und Abgabenbelastung zu hoch ist. Richtig ist auch, dass die Republik lernen muss, wie aus einem Guss zu wirken. Die jüngste Steuerreform war toll, aber die Erhöhung von Landes- und Gemeindeabgaben nahm ihr einiges vom Netto-Effekt. Dass die Gegenfinanzierung mittels Registrierkassen eher mäßig gut organisiert wurde, vermieste die Stimmung. Und es bleibt die Entwicklung, dass die Unternehmensgewinne deutlich stärker stiegen als die Löhne und Gehälter.

Die ob des 60-Jahres-Jubiläums derzeit gerne zitierten Gründerväter der Europäischen Union waren in den 1950er Jahren viel progressiver als die jetzige Politik. Sie hatten ein gemeinschaftliches Bild vor Augen. Also wäre es geboten, das erlaubte Steuerdumping in Europa zu beenden. Schluss mit abenteuerlichen Firmenkonstruktionen, die über mehrere Länder gespannt werden. Würden diese Konzerne ihre Steuern bezahlen, könnte die Lohnsteuer gesenkt werden. Oder auch die Körperschaftsteuer für Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen.

Eine Neuordnung des Staates könnte darauf Rücksicht nehmen, die ständig steigenden Abgaben aller möglichen Körperschaften zu begrenzen. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter nicht am Gewinn beteiligen, könnten steuerliche Abzugsposten verlieren. Das würde zwar die Netto-Einkommen beflügeln, aber es ist alles Utopie, alles schwierig, alles nicht so leicht machbar, sprich: unmöglich.

Dieser Doktrin folgend, wären die Römischen Verträge vor 60 Jahre nie unterzeichnet worden - und wir alle hätten heute nicht den Wohlstand, um den die ganze Welt Europa beneidet.