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Keine Macht ohne Kontrolle

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Die Türkei befindet sich in einer tiefen Krise, und Recep Tayyip Erdogan, ihr starker Mann, will diese dadurch lösen, dass er noch stärker wird. 55 Millionen Bürger entscheiden am Sonntag, ob er seinen Willen bekommt.

Nun ist es ja nicht so, dass starke Führungsfiguren mit unserer Idee von Demokratie nicht zusammengingen. In der Wahl eines Anführers in schweren Zeiten liegen sogar ihre Anfänge. Und auch in modernen Zeiten war die Kombination von Persönlichkeiten mit Hang zu autoritärem Charakter - von Winston Churchill über Konrad Adenauer bis hin zu Julius Raab und Bruno Kreisky - und deren Wahl durch die Bürger immer wieder ein Erfolgsmodell. Bis heute.

Die Idee des Parlamentarismus mag die reifere, ausgeklügeltere Form der Demokratie sein; unbestritten ist, dass sie den Bürgern mehr abverlangt. Warum wer wie was entscheidet, lässt sich im komplizierten Prozess parlamentarischer Kompromissverhandlungen von außen kaum und mitunter auch gar nicht nachvollziehen. Die Verantwortung verwischt, was wiederum die Wahlentscheidung für die Bürger erschwert. Vor allem in unsicheren Zeiten kann sich Personalisierung als Vorteil erweisen.

Genauso gut kann es aber auch schiefgehen, wie die Zwischenkriegszeit gelehrt haben, als anstelle starker, demokratisch legitimierter Anführer autoritäre, faschistische oder totalitäre Diktatoren die Macht an sich rissen und die Krise sich zum Weltkrieg wandelte. Auch solche Erfahrungen prägen, und zwar bis in die Gegenwart.

Zurück zur Türkei: Erdogan, der starke Mann, hat sein Land modernisiert. Führt er es nun zurück in eine dunklere Vergangenheit?

Die Art, wie Erdogan nun, nach dem immer noch ominösen Putschversuch, sein Land von Kritikern säubert, und die unerbittliche Rücksichtslosigkeit, mit der er auf ein "Ja" beim Referendum pocht ("werben" kann man das beim besten Willen nicht mehr nennen), lassen Böses ahnen.

Die Demokratie verträgt starke Anführer, aber nur unter der Bedingung institutioneller Gegenmacht, sei dies ein Parlament oder die Justiz. Eine Lizenz zum Alleinherrscher, auch wenn sie sich auf ein Mandat der Bürger berufen kann, steht dazu im Widerspruch. Zu groß ist die Versuchung für jeden Sultan, seine Macht zu missbrauchen. Macht korrumpiert - und absolute Macht korrumpiert absolut. Diese Erkenntnis des 19. gilt auch für das 21. Jahrhundert.