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Politisches Phänomen

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

Die Nationalratswahl am 15. Oktober hat ein erstaunliches Phänomen zutage befördert: Politiker, die von den politischen Institutionen genug haben. Peter Pilz hat von den Parteien "die Nase voll" und will daher vielleicht/vielleicht auch nicht eine eigene Liste gründen. Der Salzburger FPÖ-Dissident Karl Schnell diagnostiziert, dass die Wähler "von der Politik die Schnauze voll haben" - und will daher mit einer eigenen Liste kandidieren. Roland Düringer hat in seiner Karriere als Kabarettist und Schauspieler eines gelernt: "Wir sollten die Anliegen der Parteien endlich nicht mehr ernst nehmen." Daher macht er auf Beppe Grillo und tritt - erraten - mit einer eigenen Liste bei der Nationalratswahl an.

Auch die ÖVP ist vom Fieber angesteckt, es kommen die Begriffe Liste, Kurz und Bewegung vor - von Partei wird nur ungern gesprochen.

Wir stehen also vor der erstaunlichen Entwicklung, dass Politiker Politik machen wollen, aber ohne politische Institutionen.

Nun stimmt es, dass viele Parteien zu träge geworden sind. Es stimmt, dass Funktionäre und Mandatsträger reine Klientelpolitik betreiben, also eher Lobbyisten sind als Politiker mit Blick auf Ganze. Der sogenannte Marsch durch die Institutionen, um Veränderungen herbeizuführen, ist aus der Mode gekommen. En vogue sind Politiker, die so tun, als ob sie keine wären.

Nun hat das Beispiel Emmanuel Macron in Frankreich viele motiviert, ähnlich zu handeln. Doch Macrons Erfolg wäre ohne die Implosion der Sozialistischen Partei in Frankreich nicht möglich gewesen. Und noch etwas sollte beachtet werden: Macron gab Antworten. Er sagte nicht: "Ich habe die Schnauze/die Nase/welchen Körperteil auch immer voll." Er mahnte Wirtschaftsreformen ein, die er benannte. Er sprach sich klar für die EU aus, statt bei dem Thema herumzulavieren. Er ist für eine europäische Verteidigungsgemeinschaft, durchaus auf Distanz zu den USA. Wenn also Peter Pilz erklärt - sollte er eine eigene Liste gründen -, auf ein Programm zu verzichten, ist das eher eine Missachtung der Wähler als Ekel vor Parteien.

Wir Wahlberechtigten werden bis 15. Oktober wohl noch öfters staunend vor den Schauspielen heimischer Innenpolitik stehen. Aber - um mit dem scheidenden ÖVP-Mandatar Jakob Auer zu sprechen - es gibt auch noch den 16. Oktober. Und der könnte für manche phänomenologische Liste ein bitteres Erwachen bringen.