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Ein Sündenfall

Von Reinhard Göweil

Leitartikel
Chefredakteur Reinhard Göweil.

Österreich wird heuer das höchste Wirtschaftswachstum seit 2008 verzeichnen, durchschnittlich betrachtet sogar seit 2001. Die Gesamtbeschäftigung legt heuer um 60.000 Personen zu, für kommendes Jahr sagen die Prognosen 50.000 neue Jobs voraus. Der Leistungsbilanz-Saldo ist mit fast 8 Milliarden Euro im Plus, Export und ausländische Investitionen in Österreich sind also ein Erfolg. Unsere wichtigsten Handelspartner wachsen ebenfalls prächtig, vor allem Italien.

Die Flüchtlingszahlen sind deutlich rückläufig, die Europäische Union erfreut sich einer Beliebtheit, die sogar die FPÖ zu einer Art Pro-Europäer macht, die im Nationalrat beschlossene Aktion für ältere Arbeitslose greift unmittelbar, die beiden größten Körperschaften Bund und Stadt Wien investieren bis 2022 in Infrastruktur und Forschung gemeinsam 3,5 Milliarden Euro.

Alle Zutaten sind angerichtet für keinen Wechsel: Kanzler Christian Kern macht das gut; wenn die ÖVP nicht will, ist das ihr Problem. Besser werden die Daten Österreichs auch bei einer anderen Kanzlerschaft/Regierungskonstellation nicht, wozu also das Risiko? Kanzlerin Angela Merkel schwimmt in Deutschland auch auf dieser Welle, allerdings deutlich erfolgreicher.

Auflagenstarke Teile des medialen Österreich walzen seit Tagen die dubiosen Geschäfte eines Kaufmanns und PR-Beraters aus, der - unter anderen - die SPÖ beriet und nun ins große Aufräumemachen der israelischen Justiz geriet. Der Berater ist - im Vergleich zu dem, womit sich die israelische Justiz sonst beschäftigt - ein kleiner Fisch. In Österreich wird er zum Hai, und dass damit antisemitische Tendenzen transportiert werden, ist ekelhaft.

Faktum bleibt aber, dass der Bundeskanzler einem recht skrupelbefreiten Geschäftemacher auf den Leim gegangen ist, und das ist das wirkliche Problem. Der Verweis der SPÖ darauf, was die ÖVP nicht schon alles getan habe, geht ins Leere. Als moralische Instanz hat die SPÖ deutlich höheres Gewicht als die ÖVP, und das geht gerade verloren. Die damalige Gewerkschaftsbank Bawag haben die Österreicher gerade noch verziehen, Schwarz-Blau war 2006 viel ärger. Kern bleibt an seinem Berater hängen, ÖVP-Chef Sebastian Kurz genießt und schweigt.

Schade ist, dass die wirklich guten Wirtschaftsdaten Österreichs dabei auf der Strecke bleiben, um die sich übrigens auch keine andere wahlwerbende Partei schert.