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Wem vertrauen wir?

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Seit bald drei Jahrzehnten lebt ein großer Teil der politisch-kulturellen Elite in der festen Erwartungshaltung, dass dem Land nach den nächsten Wahlen ein Rückfall in dunkle Zeiten drohe. Das ist auch jetzt wieder so. Gemessen an solch apokalyptischen Erwartungen hält sich Österreich überraschend gut. Dieses Gefühl wird meist mit einer Regierungsbeteiligung der FPÖ verbunden, andere befällt Panik, wenn sie an die Grünen denken, und die Aussicht auf weitere Jahre mit Rot-Schwarz (oder Schwarz-Rot) hilft etlichen auch nicht gerade, ruhig zu schlafen.

Diese Emotionen sind, sofern sie nicht nur parteipolitisch motiviert sind, legitim. Bei Wahlen geht es schließlich um die Zukunft eines Landes. Und zu den Lektionen, die die Österreicher in ihrer wechselvollen Geschichte der Republik gelernt haben, gehört, dass es die Parteien sind, die das Schicksal für Land und Leute in der Hand haben. Nicht die Institutionen der Republik, die der Macht von Volk und Parteien Grenzen setzen, die Minderheiten- und Freiheitsrechte schützen, die ein Gegengewicht zur Willkür von aktuellen Stimmungen bilden. Also Verfassung, Opposition, Gerichte, Bürokratie, Länder, Medien, Interessenverbände, kurz: alles, was Politik in diesem Land so unendlich langsam und mühsam macht.

Stattdessen gilt: Die Parteien können alles, wenn sie nur wollen, und niemand kann sie aufhalten. Das ist der Hintergrund, vor dem die skizzierten Ängste zum Leben erwachen. Dass diese Allmachtsfantasien mit der Realität nichts gemeinsam haben, kümmert dabei die wenigsten.

Woher kommt dieser Misstrauensvorschuss für die Institutionen der Republik? Teilweise zweifellos daher, dass SPÖ und ÖVP über Jahrzehnte hinweg die Richtung vorgaben und sämtliche Schalthebel der Republik mit Personen ihres Vertrauens besetzten. Das ist vorbei, noch nicht überall und zu 100 Prozent, aber das ist nur eine Frage der Zeit.

Doch das hat längst nicht dazu geführt, dass diese Institutionen als eigenständige Macht wahrgenommen werden, die jede Regierung kontrollieren, begrenzen, ausgleichen und bei Bedarf korrigieren kann. Und statt diese Kräfte zu stärken, ist es den meisten lieber, dass einfach nur die "richtigen" Parteien regieren und ja nicht die "falschen". Das kann man Bequemlichkeit nennen, oder aber es ist ein fundamentales Misstrauen gegenüber Republik und Bürgern.