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Balanceakt am Ballhausplatz

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Am Vorabend des 100. Jahrestags der Gründung der Republik inszeniert sich das politisch interessierte Österreich als tief gespaltenes Land. Die Bundespräsidentenwahl und die Nationalratswahl legen davon beredtes Zeugnis ab.

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als hätten die Wähler das Pendel in gegensätzliche Richtungen schwingen lassen. Man kann es aber auch so sehen, dass sie die Möglichkeit einer neuen Balance eröffnet haben. An den beiden Wahlsiegern, Alexander Van der Bellen und Sebastian Kurz, liegt es, diese Möglichkeit in die politische Wirklichkeit hinüberzuführen. Das Risiko des Scheiterns ist natürlich mitinbegriffen.

Der Bundespräsident verdankte seinen deutlichen Sieg dem Bedürfnis der Mehrheit nach Kontinuität und einer zum Ausgleich fähigen Stabilität an der Spitze der Republik. Van der Bellen wurde zugetraut, diese Aufgabe zu erfüllen. Sein Kontrahent von der FPÖ liebäugelte dagegen mit dem Bruch mit dieser den Österreichern liebgewordenen Tradition.

Kurz dagegen verdankt seinen Platz als relativ stärkste Kraft einem vagen Drang nach Veränderung. Jetzt muss er daraus ein politisches Programm schmieden und dafür einen Partner finden. Egal, mit wem dies gelingt - innerhalb und außerhalb des Parlaments wird ihm eine starke Opposition gegenüberstehen. Die Zeiten, in denen ein Bundeskanzler sich als Art über den Parteien schwebende politische Integrationskraft inszenieren konnte, sind seit 20 Jahren vorbei. Diese Rolle bleibt dem Bundespräsidenten vorbehalten, sofern er sie spielen kann.

Wenn Kurz nun vom Bundespräsidenten den Auftrag zur Bildung einer neuen Bundesregierung erhält, kann er darauf verweisen, die wichtigste Vorgabe Van der Bellens bereits erfüllt zu haben. Bei seiner ersten Brüssel-Visite nach der Wahl hat er auf der großen europäischen Bühne die Leitlinien der künftigen österreichischen EU-Politik abgesteckt: pro-europäisch, subsidiär, ein Nein zur Idee eines Beitritts zur Visegrad-Gruppe der Osteuropäer und Lob für Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron.

Den Praxistest muss der mögliche neue Kanzler allerdings im Regierungsalltag erbringen. Das wird schwer genug. Europa bleibt eine ewige Versuchung für alle Parteien, billige Punkte für die Innenpolitik zu gewinnen. Schlag nach bei Migration, Schengen, Ceta, Atomkraft oder Russland-Sanktionen.