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Die Qwitter kommen

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert.

Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ist für aufgeschlossene Medienkonsumenten, die sich für mehr als nur fette Schlagzeilen und flotte, aber sinnentlehrte Sprüche interessieren, ein wahres Geschenk. Die aufgeplusterte Aufgeregtheit macht zivilisierten Unterhaltungen Platz, endlich ist Zeit für mehr als nur 140 Zeichen einer Twitter-Nachricht (seit November sind 280 Zeichen möglich). Der frühere US-Präsident Barack Obama gab nun dem britischen Sender BBC ein Interview (mit Prinz Harry als Interviewer) und ging im Gespräch auf die Tücken von Social Media ein. Obama erinnerte daran, dass es in seiner Jugend drei Fernsehsender gab und die Gesprächsthemen im Land überschaubar waren.

Social Media und Internet hätte zu einer "Balkanisierung der Öffentlichkeit" geführt: Jeder bleibe in seiner Blase und es gebe immer weniger Verständnis für Andersdenkende. Das beste Gegenmittel sei es, auch offline, also abseits des Internets, das Gespräch zu suchen und nicht nur in Internetforen oder auf Twitter zu debattieren. "Im Internet ist alles sehr einfach. Wenn man aber Menschen in der Realität kennenlernt, sind sie vielschichtig und kompliziert", so Obama. Dadurch ließen sich leichter Kompromisse finden, Gesprächspartner seien eher bereit, auf ihr Gegenüber zuzugehen.

Doch das Problem liegt auch in der Architektur der Social Media: Gut abgewogene Argumente oder kluge Kommentare stehen gleichwertig neben Müll, bigottem Mist, Verschwörungstheorien oder islamophoben oder antisemitischen Provokationen. Twitter und Facebook haben mehrfach versprochen, die Regeln zu verschärfen, dennoch wird herzlich wenig gegen Hetze und Sexismus im Netz unternommen. Für Facebook und Twitter könnte das zum Problem werden: Was passiert, wenn die Bewegung der Qwitter (vom englischen "quit" = beenden) an Zulauf gewinnt, also mehr und mehr Menschen sich von Twitter und Facebook abwenden? Dann wären die krakeelenden Schreihälse unter sich - und das Geschäftsmodell der Internet-Giganten wäre dahin.

Bei der Generation Y (den 17- bis 29-Jährigen) sind Facebook und Twitter ohnehin längst nicht mehr so en vogue. Diese Generation findet man auf Instagram - das ist die heile Welt schöner Bilder, dort wird nicht gestritten. Aber Eskapismus ist freilich auch keine Lösung.