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Der Preis der Stabilität

Von Walter Hämmerle

Leitartikel

Europas politische Eliten sehnen die große Koalition in Berlin herbei. Ohne Deutschland stehen die Räder in der EU still. Für die Deutschen selbst halten sich die Nachteile, seit der Wahl vom 24. September ohne voll handlungsfähige Regierung dazustehen, in Grenzen. Man kennt das aus Spanien und Belgien: Nichtstun ist nicht die schlechteste Beschäftigung für Politiker, jedenfalls aus Sicht der Bürger.

Bis Sonntag wollen sich Union und SPD auf eine Fortsetzung ihrer Koalition einigen. Wahrscheinlich ist, dass es noch den einen oder anderen Tag länger dauern wird, bis weißer Rauch aufsteigt. Nicht nur, weil die drei Parteien so weit auseinanderliegen; das stimmt zum Teil; aber vor allem müssen CSU und SPD ihren Wählern und Funktionären demonstrieren, dass sie alles, und zwar wirklich alles, aus den Verhandlungen - und damit aus dem künftigen Partner - für die eigene Sache herausgeholt haben.

Im Fall der Sozialdemokratie ist das nicht nur das übliche Schattenboxen für die Galerie. Die Parteiführung weiß, dass weite Teile ihrer Basis keine Koalition mit Angela Merkels Union mehr wollen. Die SPD-Linke sehnt sich nach jener Freiheit, die die Opposition verheißt. Sie will eine Einigung bei der Urabstimmung der SPD-Mitglieder zu Fall bringen, die grünes Licht für die Verhandlungsergebnisse geben muss.

Reale Macht, jedenfalls wenn es die Macht eines Juniorpartners an der Seite Merkels ist, lockt sie nicht. Lieber setzt sie ihre Hoffnungen darauf, dass eine Mehrheit der Deutschen Merkels Union in dreieinhalb Jahren endgültig überdrüssig sein wird. Nach dann 17 Jahren Kanzlerschaft. Gewiss ist, dass Merkel ebenso wie SPD-Chef Martin Schulz spätestens 2021 Geschichte sein wird. Wenn nicht schon vorher.

Als einzige der drei Parteien hat die bayrische CSU die Weichen für die Zukunft bereits gestellt. Die SDP sieht die ihre links, die CSU rechts - und die CDU wird ebenfalls ihr konservatives Profil schärfen, das der Partei in der Ära Merkel Stück für Stück abhandengekommen ist.

In Summe sind dies, ganz unabhängig von den konkreten Vorhaben einer neuen deutschen Regierung, keine günstigen Voraussetzungen für eine gedeihliche Zusammenarbeit. Es stärkt nur die Ränder, wenn die Mitte die Flanken aufgibt. Das ist ein hoher Preis für Stabilität, in Deutschland wie in Europa. Und die Rechnung muss verlässlich beglichen werden. Spätestens 2021.