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Kanzlerin um jeden Preis

Von Alexander Dworzak

Leitartikel
Alexander Dworzak ist Außenpolitik-Redakteur der "Wiener Zeitung".

Erinnern Sie sich noch an Alfred Gusenbauers Träume? Der Ex-Kanzler malte sich bereits in der Sandkiste aus, dass er eines Tages an der Regierungsspitze stehen würde. Nachdem er überraschend die Nationalratswahl 2006 gewonnen hatte, zog die ÖVP unter Wolfgang Schüssel den Sozialdemokraten bei den Verhandlungen das sprichwörtliche letzte Hemd aus und sicherte sich Finanz-, Innen- und Wirtschaftsministerium. Gusenbauers Freude tat das keinen Abbruch, legendär ist sein Strahlen bei der Angelobung.

Von Angela Merkel sind derartige Träume und Gefühlsausbrüche nicht überliefert. Das nunmehrige Verhandlungsgeschick der CDU-Chefin erinnert aber an jenes von Gusenbauer: Sie hat sich von der SPD das Finanzministerium abnehmen lassen. In einer Zeit, in der über den Brexit, das EU-Budget und die Zukunft der Eurozone verhandelt wird. Die bei der Wahl auf 20,5 Prozent geschrumpfte SPD stellt künftig mehr Fachminister als Merkels CDU.

Es ist ein Rätsel, warum Merkel derart großzügig - oder verhandlungsschwach - war. Denn die SPD, deren Forderungen immer mehr Züge von Maßlosigkeit annahmen, hätte Neuwahlen noch mehr als die Union fürchten müssen. So tat die Kanzlerin alles ihr Mögliche, damit die SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag annehmen. Damit verschleudert sie aber das Sparpolitik-Erbe von Wolfgang Schäuble. Einer der letzten inhaltlichen Eckpfeiler der CDU geht verloren.

Als negative Draufgabe geben die Christdemokraten das Innenministerium an ihre bayerische Schwesterpartei CSU ab, die sich dort - angereichert um Heimatagenden - noch mehr mit der immer weiter nach rechts rückenden AfD duellieren wird. Für die CDU bleiben Verteidigung, Wirtschaft, Gesundheit und Landwirtschaft über. Signale des Aufbruchs, wie sie die große Koalition so sehr versprochen hat, sind in diesen Ressorts nicht zu erwarten. Einziger Strohhalm ist das Thema Bildung, das die CDU mit der digitalen Revolution verknüpfen könnte.

Zur inhaltlichen Trostlosigkeit kommt die personelle. Alle kolportierten CDU-Minister gelten nicht als Merkels Nachfolgefavoriten. Die Option, die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer ins Kabinett zu holen, die Merkel im Lauf der Legislaturperiode ablösen könnte, wurde auch nicht wahr. Will die Kanzlerin etwa bis 2021 durchdienen? Dagegen könnte selbst die langmütige CDU-Basis rebellieren.