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Ein Präsident weniger

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Von Europa träumen: Diese Freiheit hat sich der Präsident der EU-Kommission, Jean-Claude Juncker, genommen, nachdem eine Antwort aus Deutschland auf die Ideen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch immer auf sich warten lässt. Der 63-jährige Luxemburger beweist dabei Sinn für das Machbare und Sinnvolle.

Junckers Anliegen ist es, die Europäische Union übersichtlicher und demokratischer zu machen. Dazu will er mittelfristig die Ämter der Präsidenten von Kommission und Rat fusionieren und ein Zwei-Kammer-System aus dem EU-Parlament und dem Rat der Mitgliedstaaten etablieren. Eine Verringerung der Anzahl der Präsidenten auf EU-Ebene würde zweifellos helfen, die Verantwortlichkeit für die Bürger nachvollziehbarer zu gestalten.

Kurzfristig soll die Union durch die Beibehaltung des EU-weiten Spitzenkandidatensystems für die Bürger politisch attraktiver werden. Dass der Kandidat der stimmenstärksten Parteifamilie Anspruch auf den EU-Kommissionschef erhält, kam 2014 erstmals zur Anwendung, ist jedoch vom Goodwill der Regierungschefs abhängig. Die EU-Verträge weisen dem Rat die Auswahl des Kommissionschefs zu, dieser muss dabei das Ergebnis der EU-Wahl lediglich mit in Betracht ziehen.

Damit spricht sich Juncker - wie schon eine Mehrheit im EU-Parlament - gegen eine Vision Macrons aus, der dafür plädiert, die Hälfte der Sitze durch transnationale Wahllisten zu besetzen. Letzteres klingt zwar irgendwie demokratischer, wahrscheinlicher aber ist, dass ein so verkompliziertes Wahlrecht die bereits bedrohlich niedrige Wahlbeteiligung weiter fallen lassen würde. Diese lag 2014 bei 42 Prozent!

Das ist aber längst nicht das einzige demokratische Defizit der EU. Die Struktur aus Machtverteilung und Machtkontrolle passt hinten und vorne nicht. Und dann gibt es auch noch die extreme Verzerrung bei der Zusammensetzung des EU-Parlaments. Vom Prinzip "Ein Bürger, eine Stimme" kann keine Rede sein. Ein deutscher EU-Parlamentarier vertritt 850.000 deutsche Unionsbürger, auf einen Abgeordneten aus Malta kommen nur 67.000 maltesische EU-Bürger, für Österreich beträgt das Verhältnis 1:460.000.

Für diese massiv unterschiedliche Gewichtung gibt es nachvollziehbare Gründe, weder kann ein arbeitsfähiges Parlament aus tausenden Abgeordneten bestehen, noch dürfen sich kleinere EU-Staaten marginalisiert fühlen. Der gefundene Kompromiss führt trotzdem dazu, dass das EU-Parlament allenfalls der politischen Intention nach als Repräsentant aller Unionsbürger bezeichnet werden kann.

Aber Demokratien werden nicht an einem Tag errichtet, das gilt auch für die europäische. Es ist ein langfristiges Projekt, an dem die Arbeit nie zu Ende geht.