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Pflege aus einer Hand

Von Martina Madner

Leitartikel
Martina Madner ist Redakteurin im Ressort Österreich.
© Wiener Zeitung, Thomas Seifert

Eigentlich ist es ein vergleichsweise kleines Zahnrädchen in einem großen System, an dem die Regierung vergangenen Sommer drehte: die Abschaffung des Pflegeregresses. Eigentlich, denn wie es in der Natur von Zahnrädchen so liegt: Einmal in Gang gesetzt, treibt das kleine ein größeres an, das wiederum ein drittes - und am Ende bewegt sich die ganze Maschine in eine andere Richtung als
ursprünglich gedacht.

Und das kam so: Der Bund ging damals von Kosten für alle Bundesländer und Gemeinden von 100 bis 150 Millionen Euro aus, was von manchen Bundesländervertretern wie den Steirern bestätigt, von anderen aber bezweifelt wurde. Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner sprach schon damals von 150 bis 250 Millionen Euro. Vergleichsweise kleine Beträge bei jährlichen Pflegekosten von rund drei Milliarden Euro für Bund, zwei für Länder und Gemeinden sowie weiteren 3,7 Milliarden Euro für private Haushalte, insgesamt 8,7 Milliarden Euro, wie das Wifo vergangenes Jahr für 2015 erfasste.

Jetzt, 2018, wo die pflegeregresslose Zeit beginnt, erhöhte der Gemeindebund allerdings seine Kostenschätzung auf 350 bis 500 Millionen Euro, der Städtebund gleich auf 500 Millionen Euro. Und wieder ist es Landeshauptmann Wallner, der dem Bund mit dem Gang zum Verfassungsgerichtshof droht, falls der bis Juni keine Lösung parat hat und nicht mehr als die ursprünglich geplanten 100 Millionen Euro zuschießt.

Wie kommt es? Das Zahnrädchen Regress-Abschaffen hat ein weit größeres in Gang gesetzt: Menschen, die den Zugriff des Staates auf Erbschaften vermeiden wollten, pflegten ihre Angehörigen selbst oder mittels 24-Stunden-Betreuung - also vor allem privat und bundesfinanziert. Nun aber könnten mehr als früher ein Heim für die Pflege der Angehörigen wählen - was Bundesländer und Gemeinden bezahlen.

Der Regress führt also wieder einmal deutlich vor Augen: Das Zusammenspiel in föderalistischen Systemen, jenes von Entscheidungen auf der einen Seite und das der Finanzierung auf der anderen, funktioniert nur so lange reibungsfrei, solange man kaum oder nur extrem dezent und nach oft mühsamen Verhandlungen in den Länderfinanzausgleich eingreift. Dabei bräuchte es gerade im Pflegebereich angesichts der älter werdenden Bevölkerung und damit zu erwartender Mehrkosten weit größere und raschere Reformen: Solche wären deutlich einfacher, wenn Entscheidungen und Finanzierung aus einer Hand kommen. Das aber käme einer kompletten Neuzusammensetzung aller Zahnräder in der Pflege-Maschinerie gleich. Die Hoffnung auf eine solche Debatte ist allerdings nicht groß, wenn schon in der kleinen um den Regress gedroht wird, zu Gericht zu gehen.