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Höchste Richter

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Es gab einmal eine Zeit, daran will sich die Gegenwart gar nicht mehr erinnern, da war der Verfassungsgerichtshof (VfGH) für die Mächtigen ein Hindernis unter mehreren: Erwies sich ein Vorhaben der Parteien als unvereinbar mit den Grundsätzen der Verfassung, wurde nicht etwa das Vorhaben adaptiert oder fallengelassen, sondern die Verfassung geändert. Man nannte das den Primat der Politik.

Wenn SPÖ und ÖVP das gemeinsam so sahen, dann nahmen sie sich bei Bedarf dieses Recht. Und bis auf eine Handvoll Staatsrechtler und liberaler Verfassungsdenker fanden
das die meisten auch gut so.

Doch Zeiten ändern sich. Auf die Idee, dass der VfGH ein souveränes Machtzentrum der Republik sein könnte, wäre in den guten alten Zeiten der rot-schwarzen Republik niemand gekommen. Heute blicken wir mit anderen Augen auf die Institutionen, haben ein neues Gespür für Gleichgewichte und Gegenmächte; das gilt für den Bundespräsidenten genauso wie für den VfGH (wenngleich dessen Rolle durch den Europäischen Gerichtshof relativiert wird). Dass sich im näheren und ferneren Ausland die Versuche häufen, die Unabhängigkeit der nationalen Höchstgerichte zu untergraben, hat dazu seinen Teil beigetragen. Auch was die Wahl ihrer Mittel angeht, bewegt sich die Politik ganz generell verlässlich auf der Tiefe der Zeit.

Österreich ist, was den Umgang mit seinen Höchstgerichten angeht, in der glücklicheren Vergangenheit stehen geblieben. Mitunter gelingt es den beharrenden Kräften der Republik, eine zwar nicht perfekte, aber politisch durchaus bewährte und belastbare Konstellation in die umkämpfte Gegenwart hinüberzuretten. Zu dieser Kontinuität gehört auch, dass die FPÖ das Recht in Anspruch nimmt,
als eine von drei mittelgroßen Parteien in dem 14-köpfigen Verfassungsorgan vertreten zu sein. Die größere Anomalie ist es, dass dort bisher fast ausschließlich von SPÖ oder ÖVP nominierte Personen Recht sprechen.

Dass die Parteien die Höchstrichter nominieren, ist in einer repräsentativen Demokratie fast unvermeidlich. Zu überlegen wäre allenfalls, ob das Quorum der Kandidaten, die von National- und Bundesrat bestimmt werden, nicht erhöht werden könnte. Warum nicht die einfache auf eine Zweidrittelmehrheit erhöhen? Auch gegen ein vorangehendes Hearing, gerne öffentlich und von mehreren Kandidaten für die zu vergebende Richterstelle, spricht genau genommen nichts.

Die personellen Weichenstellungen der Regierung im Verfassungsgerichtshof werden auf Jahrzehnte hinaus wirken. Bisher war es so, dass das Amt die Person geprägt hat und nicht umgekehrt. Es ist an den Neuen, diese Tradition fortzuführen.