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Kurz mal bei Putin

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur der "Wiener Zeitung".
© WZ

"Russland ist ein Rätsel, verpackt in ein Geheimnis, umgeben von einem Mysterium", sagte der spätere britische Premier Winston Churchill in einer BBC-Radiosendung am 1. Oktober 1939. Daran hat sich seither wenig geändert, und es gilt für den früheren KGB-Geheimdienstmann mit Dienstort Dresden und heutigen russischen Präsidenten Wladimir Putin in noch stärkerem Maße.

Im Nahen Osten hat Russland die Führungsrolle der USA geerbt, im Konflikt in der Ost-Ukraine ist Putins Russland Hauptsponsor der Separatisten im Donbass und kann den Konflikt wie mit einem Temperaturregler hochkochen oder auf niedrigerer Flamme köcheln lassen. Insofern ist es schon richtig, wenn Kanzler Sebastian Kurz betont, dass Friede in Europa nur mit Russland möglich ist.

Leider deutet wenig darauf hin, dass Moskau an Stabilität, Frieden und Normalisierung der Beziehungen mit Kiew interessiert wäre. Denn eine Annäherung Kiews an die EU ist Moskau ein Dorn im Auge. Weder will der Kreml zulassen, dass die Ukraine - und wer weiß, später vielleicht auch Weißrussland? - in Europas Einflusssphäre gelangt, noch ist man daran interessiert, dass die Bürger von Sankt Petersburg bis Wladiwostok dieselben Ansprüche an die Nomenklatura stellen, wie es die Euro-Maidan-Aktivisten in Kiew getan haben.

Dennoch: Die Ukrainer können ihr Land nicht einfach einrollen und irgendwo westlich der Achse Krakau-Koice wieder entrollen. Die Ukraine muss mit dem Nachbarn Russland leben - genauso wie die EU, die in Finnland entlang von 1350 Kilometern an russisches Territorium grenzt und mit dem zwischen Polen und Litauen situierten russischen Brückenkopf Kaliningrad leben muss. Doch wie kann man die Beziehungen zu Moskau verbessern?

Österreich, das eben den OSZE-Vorsitz innehatte und im zweiten Halbjahr den EU-Vorsitz hat, gilt als Russland-freundlich, hat aber zugleich sehr gute Beziehungen nach Kiew. Die Idee, dass Österreich an einer UN-Blauhelmmission in der Ost-Ukraine teilnehmen könnte, ist also durchaus charmant. Zugleich sollte Österreich aber alle europäischen Bemühungen, den Energieimportmix zu diversifizieren, unterstützen und mithelfen, die Abhängigkeit Europas von russischen Energieimporten zu senken. Denn mit jedem Windrad, das sich in Parndorf dreht, mit jeder Photovoltaikanlage, auf die die Sonne scheint, entgehen der russischen Gazprom Einnahmen, die stattdessen ein österreichischer Elektrizitätsanbieter einstreifen kann.

Aber was tut Wien? Kurz stellt sich hinter das von Russland betriebene, umstrittene Nord-Stream-Pipeline-2-Projekt, das die Energieabhängigkeit Europas von Russland sogar noch vergrößert. Das ist keine gute Idee.