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Angespannte Routine

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Die eine Seite sieht jetzt den Untergang des liberalen Verfassungsstaats am Horizont heraufziehen, die andere Seite fiebert erwartungsvoll dem Anbruch neuer Zeiten entgegen. Und das Ganze aus Anlass der Wahl eines neuen Verfassungsrichters (eines von insgesamt vierzehn) durch den Nationalrat auf Vorschlag der FPÖ. Diese Kombination von parlamentarischer Routine mit politischer Überhöhung kann man durchaus für ein Zeichen einer bedenklichen emotionalen Anspannung halten.

Dass der Bundespräsident sich an die Usancen der Zweiten Republik hält und dem mit den Stimmen der Regierungsmehrheit durchgewunkenen Kandidaten für das Höchstgericht seinen amtlichen Segen erteilt, werden ihm wohl vor allem all jene anrechnen, die ihn nie gewählt haben. Der leise politische Tadel, mit dem Alexander Van der Bellen dabei Andreas Hauer für dessen Polemik gegen den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof bedenkt, bekümmert die einen nicht wirklich und ist den anderen viel zu wenig.

Es war schon einmal leichter in diesem Land, zwischen den Standpunkten zu vermitteln. Wobei sich am Grundproblem nichts, und zwar gar nichts, geändert hat: Nach wie vor setzen die Parteien ihr Wollen mit dem Wohl des Staats gleich. Die Republik und ihre Institutionen werden nach wie vor verlässlich von den politischen Parteien her gedacht. Dass die Politiker dies so halten, mag ja noch aus deren Selbstverständnis angehen (auch wenn es vom Grundsatz her inakzeptabel bleibt); unverständlicher ist jedoch, dass es auch die meisten politisch engagierten Bürger und sogar eine erkleckliche Zahl von Medien und Kommentatoren so halten. Österreich hat sich bis heute nicht von seinen politischen Parteien emanzipiert. Weder im Handeln noch im Denken.

Deshalb wird es auch auf absehbare Zeit unmöglich bleiben, am Besitzanspruch der Parteien über die Institutionen der Republik auch nur ein Jota zu ändern. Deshalb werden die Parteien weiterhin, wenn sie denn die Gelegenheit vorfinden, vorwiegend politische Vertrauensleute in die Gremien entsenden, die sich in ihrem Einflussbereich befinden und entsprechende Bedeutung haben.

Mit dieser Tradition zu brechen, ist für die Parteien nur leicht, wenn sie gerade nicht am Zug sind. So ehrlich sollten alle Beteiligten sein. Aber kleine Schritte aus ihren bisherigen Gepflogenheiten sind zumutbar. Allen Parteien.

Zum Abschluss noch etwas ganz anderes: Man kann über die politische Entstehungsgeschichte der Liste Pilz wunderbar geteilter Meinung sein. Es ist allerdings ein Glücksfall, dass Alfred Noll als Redner das Parlament
bereichert.