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Jenseits der Hängematte

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Wie kann es gelingen, die Nachteile der Digitalisierung in der Arbeitswelt aufzufangen, ohne gleichzeitig deren Vorteile einzubüßen? Denn das ist das große Dilemma unserer Zeit: Die digitale Ökonomie kann ihre ungeheure wirtschaftliche Dynamik umso besser entwickeln, je weniger Regulierungen und feste Rahmenbedingungen sie behindern.

Feste, unbefristete Arbeitsverhältnisse mit umfassendem Sozialversicherungsschutz waren die Grundlage wie das Erfolgsrezept jener auf Industrie gebauten Sozialen Marktwirtschaft, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zum westeuropäischen Markenzeichen wurde. Ob die digitale Dienstleistungsökonomie des 21. Jahrhunderts diese kulturelle wie ökonomische Errungenschaft im Kern fortzusetzen vermag, wird die politische Gretchenfrage des nächsten Jahrzehnts.

Denn dass Bürger, die am mittleren und unteren Rand der ökonomischen Stufenleiter auch noch mit sämtlichen Risiken eines unternehmerischen Prekariats alleingelassen werden, bei Wahlen für genau jene stabilen Verhältnisse sorgen werden, deren wirtschaftliches und soziales Äquivalent die Politik ihnen selbst verweigert, ist dann doch eher ungewiss. Sehr viel wahrscheinlicher ist, dass diese so sich selbst überlassenen Wähler auch die Politik mit radikaler Unsicherheit überziehen. Disruption als kleinster gemeinsamer Nenner quasi.

Dabei ist es nicht ausgeschlossen, dass die Wirtschaft der Zukunft durchaus die Leistungsfähigkeit zur Verfügung stellt, die es erlaubt, dass eine Minderheit an innovativen Spitzenleistern sogar eine Mehrheit alimentiert, die nicht mehr als Produktivkräfte benötigt wird, sondern nur noch als Konsumenten. Diese erhalten dann eben durch Transfers jenes Geld zum Ausgeben, das unerlässlich für die Stabilisierung des Wirtschaftskreislaufs ist. Das ist der Stoff, aus dem der Traum von einem bedingungslosen Grundeinkommen ist. Ob so ein Konstrukt tatsächlich als dauerhafte Grundlage für eine liberale Demokratie taugt, wird sich zeigen, wenn es denn je Wirklichkeit werden sollte.

Wer dieses unbekannte Terrain zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht eingehen will, muss also nach Wegen suchen, wie das Bedürfnis großer Teile der Bevölkerung nach ökonomischer und sozialer Sicherheit erhalten werden kann, und dies in einer Zeit, deren ökonomische Dynamik in weiten Teilen vom teils radikalen Bruch mit dem Bestehenden zehrt. Es ist die drängende Aufgabe einer vorausschauenden Politik, diese Abbauarbeit durch den Aufbau neuer sozialer Sicherungsnetzwerke gesamtgesellschaftlich verträglich zu gestalten. Ansonsten wird Sturm ernten, wer keinen Schutz bietet. Und das hat nichts mit Hängematten zu tun.