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Partner, keine Gegner

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Weil sich gerade wieder die deutsche Kanzlerin und der französische Staatschef in Berlin getroffen haben: Die feurigsten Liebhaber Europas - genauer: der Europäischen Union - sind verlässlich die, die Gefahr laufen, an ihrer großen Liebe zu verzweifeln. Europa lässt sich eben nicht so leicht neu gründen.

Die Hoffnungen für eine solch gründliche wie grundsätzliche Erneuerung der EU ruhen auf den Schultern von Frankreichs Emmanuel Macron. Dessen Reformpläne haben dem 40-Jährigen den Ruf eines Visionärs eingebracht. Damit besetzt Macron eine Nische in der Politik, die von Konkurrenten kaum bespielt wird.

Zyniker kanzeln Menschen dieses Schlags gern damit ab, wonach einen Arzt benötigt, wer Visionen hat. Im Gegensatz zu den Visionären besteht an Zynikern kein Mangel.

Allerdings haben die Visionäre ein Problem, über das sie sich gern hinwegschummeln. Sie erleben Europa als Folge der Finanz- und Flüchtlingskrise als gelähmt und blockiert.

Sehr viele Bürger erleben dagegen keine Union des Stillstands, sondern, im Gegenteil, eine, die sich rasant verändert, die ständig Neues schafft - und so ihr eigenes höchstpersönliches Leben in Bewegung hält. Zweifellos fehlen der EU die notwendigen Instrumente und Mechanismen, um auf Wirtschafts-, Finanz-, Migrations- und geopolitische Krisen adäquat zu reagieren. Aber ebenso stimmt, dass die Krisen der letzten zehn Jahre der Union einen ungeheuren Integrationsschub insbesondere in Budgetfragen, aber längst nicht nur, verpasst haben.

Den Visionären und Technokraten sind diese Fortschritte nicht genug. Und es stimmt ja auch tatsächlich: Die Herausforderungen der Globalisierung warten nicht auf die EU. Also gilt: Wer selbst nicht handlungsfähig ist, für den handeln andere.

Das Dilemma ist: Die EU hat derzeit kein demokratisches Mandat, die Integration weiter voranzutreiben; sie hat die Fortschritte der letzten Dekade schon ohne direkte Beteiligung der Bürger umgesetzt.

Die Union musste nie als Union bei den Bürgern um Unterstützung kämpfen, und die längste Zeit ihrer Geschichte war sie ganz froh darüber. Das rächt sich jetzt. Die EU ist, auf Gedeih und Verderb, an die demokratische Legitimation ihrer Mitgliedstaaten gebunden. Sollten sich Europas Visionäre dazu entscheiden, die historisch fest verankerten Nationalstaaten als bevorzugte Gegner zu kämpfen, begibt sie sich auf dünnes Eis. Sie riskiert, dass sich die Bürger für ihre Staaten entscheiden.

Die EU braucht ihre Staaten so, wie die Staaten die Union benötigen. Ohne einander sind beide dem Untergang geweiht. In der Zukunft mag sich das irgendwann ändern, noch ist es nicht so weit.