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Der transatlantische Graben

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur der "Wiener Zeitung".
© WZ

Donald Trumps Ausstieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran diese Woche ist der größte Riss in den transatlantischen Beziehungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Diese Aktion des US-Präsidenten "verletzt das Vertrauen in die internationale Ordnung", wie die deutsche Kanzlerin Angela Merkel bei ihrer Rede am deutschen Katholikentag in Münster sagte. Diese internationale Ordnung ist längst einer internationalen Unordnung gewichen, und in dieser neuen Weltunordnung muss jeder selbst sehen, wo er bleibt. Die alten Regeln gelten nicht mehr, jetzt gilt das Gesetz des Dschungels - jeder gegen jeden. Den Europäern dämmert jetzt auch endlich, dass der Zusammenhalt des Kontinents von den Feinden Europas bedroht wird: Warum hat Trump sich für Frankreichs Rechtsextremistin Marine Le Pen starkgemacht? Und warum war es ausgerechnet der Ukip-Apparatschik und Brexit-Organisator Nigel Farage, den Trump nach seiner Wahl im November 2016 als ersten britischen Politiker empfangen hat?

Das "divide et impera"-Prinzip ist wieder in Mode. Dass es Russland und China mit Ungarn und Griechenland nicht anders machen, steht auf einem anderen Blatt. Imperialisten haben eben eine klare Präferenz für devote Vasallen - selbstbewusste Partner sind ihnen lästig. Europa macht es seinen Gegnern leicht: Es gibt innerhalb der politischen Klasse der europäischen Länder eine ausreichende Anzahl "nützlicher Idioten" (© Wladimir Iljitsch Lenin), die das antieuropäische Spiel unter dem Banner eines chauvinistischen Neo-Nationalismus mitspielen.

De Europäern dämmert nun die Stunde der Wahrheit herauf: Was lässt sich aus den Trümmern der transatlantischen Allianz noch retten? Hat die EU den politischen Willen und die Kraft, sich den US-Sanktionsdrohungen gegen europäische Firmen, die mit dem Iran handeln, zu widersetzen? Wagt man es in Brüssel, Paris und Berlin, in Sachen Iran-Sanktionen eine Achse mit Peking, Delhi und Moskau gegen Trump zu schmieden, allein schon, um die Prinzipien einer internationalen Handelsordnung zu retten? Gleichzeitig braucht es eine Antwort auf die Frage: Wer schultert in der EU die Kosten einer militärischen Emanzipation von den USA?

Der US-Politologe und politische Risikoforscher Ian Bremmer prägte im Jahr 2012 in seinem Buch "Every Nation for Itself" den Begriff der G-Null. In dieser neuen Welt, wie sie der Gründer des Geopolitik-Denkfabrik Eurasia Group damals skizzierte, würden nicht mehr die Staaten der G7 oder G20 gemeinsam Lösungen suchen, sondern jede Nation für sich allein nach dem eigenen Vorteil trachten. Es scheint, dass diese Dystopie von 2012 im Jahr 2018 Wirklichkeit geworden ist.