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Volkswille gegen Fakten

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die mächtigsten Gegner für die EU-Reformideen des französischen Präsidenten nicht in Berlin, Den Haag, Warschau oder Wien sitzen, sondern im Süden Europas, der doch eigentlich von den Plänen Emmanuel Macrons am meisten profitieren sollte. Doch das Chaos in Rom, wo linke mit rechten Populisten eine gemeinsame Regierung der lebenden politischen Gegensätze bilden möchten, versetzt dieser Agenda jetzt den Todesstoß.

Es ist immer wieder erstaunlich, wie zielsicher ehrgeizige politische Start-ups, wenn es um die Suche nach Verantwortlichen für interne Probleme geht, im Ausland fündig werden. Italien ist da nicht einmal eine große Ausnahme. Die Ursache hierfür liegt wohl irgendwo in der frühgeschichtlichen Prägung der Menschheit.

Italiens Krise macht nun wieder Ernst mit dem Schreckensszenario eines Auseinanderbrechens der Eurozone. Die wertvolle Zeit, die sich die Politik mithilfe der ultralockeren Geldpolitik der Europäischen Zentralbank auf Kosten der Sparer erkauft hatte, verstrich weitgehend ungenutzt für die notwendigen Reparaturen an den Strukturproblemen von Staaten und Währung.

Es hat noch nie funktioniert, wenn das Ausland - noch schlimmer: internationale Experten - Bürgern eines Landes erklärt, diese hätten einen irregeleiteten Blick auf ihre eigene Wirklichkeit. Und es ist in einer Demokratie auch einigermaßen schwierig, zum Regieren entschlossene parlamentarische Mehrheiten auf Dauer eben davon abzuhalten. Sicher, Staatspräsidenten oder Höchstgerichte können Aufschub oder Neuwahlen erzwingen, aber wenn sich der Wille verfestigt, führt kein Weg daran vorbei. Interventionen von außen führen nur zur Entstehung von Dolchstoßlegenden.

Regieren bedeute ein Rendezvous mit der Wirklichkeit, hat Wolfgang Schäuble einmal formuliert. Und wenn politische Luftschlösser auf konträre ökonomische Fakten stoßen, dann gewinnen verlässlich die Tatsachen. Das heißt nicht, dass sich diese Verhältnisse nicht durch hartnäckige Politik ändern ließen, aber eben nicht einfach so, als Wunsch ans Christkind.

Zwar hatten Macrons Pläne - gemeinsame Einlagensicherung, eigenes Budget für die Eurozone, ein EU-Finanzminister - auch ohne Kabale in Rom einen schweren Stand. Der Widerstand ist im Norden, wozu in diesem Fall auch Österreich zählt, erheblich. Dass sich aber nun zwei Parteien anschicken, alle nördlichen Vorurteile gegen den Süden zu bestätigen, macht Macrons Projekt für lange, lange Zeit zur Makulatur. Der EU-Gipfel Ende Juni wird, einmal mehr, akutes Krisenmanagement verlangen - im Handelsstreit mit den USA und zur Rettung des Euro.