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Spaniens traurige Lektion

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Es ist noch keine zwei Monate her, da wollte am 11. Juni der gerade ins Amt gekommene linke Ministerpräsident Spaniens ein humanitäres Zeichen setzen. Die neue italienische Populisten-Regierung mit einem Rechtsaußen als Innenminister hatte zuvor die Häfen des Landes für zivile Flüchtlingsboote geschlossen. Die "Aquarius" mit 629 Migranten stand vor verschlossenen Toren, nachdem auch Frankreich und Malta ein Anlaufen untersagt hatten.

Seither ist Spanien zum neuen Brückenkopf im Mittelmeer für all jene geworden, die von Süden einen Weg nach Europa suchen. Allein von Freitag bis Sonntag wurden 1400 Menschen vor dem Ertrinken gerettet. 200 von ihnen hatten in kleinen Schlauchbooten die Überfahrt von Afrika nach Spanien angetreten. Kurz zuvor waren 600 Migranten gewaltsam auf das Gebiet der spanischen Exklave Ceuta gelangt.

In atemraubender Geschwindigkeit ist Andalusiens Küste zum neuen Hotspot der europäischen Migrationskrise geworden.

Die verbliebenen Optimisten setzen darauf, dass sich jetzt endlich Mechanismen umsetzen lassen, die zuvor chancenlos waren. Etwa Flüchtlingszentren auf EU-Gebiet, in denen im Schnellverfahren die Asylchancen abgeklärt und die Menschen anschließend auf andere, dazu bereite EU-Staaten verteilt sowie abgelehnte Migranten rasch zurückgeführt werden. Die Erfahrungen lehren jedoch, dass für solchen Optimismus kein Anlass besteht.

Die jüngste Entwicklung zeigt, wie schnell sich die Migrationsrouten neuen Gegebenheiten anpassen: Italien schließt vor den Augen der Weltöffentlichkeit seine Häfen, Spanien setzt ein entgegengesetztes Zeichen - und schon schnellen die illegalen Ankünfte in Andalusien nach oben. Italiens Rechtsaußen, ohnehin im Aufwind, fühlen sich bestärkt, Spaniens wackelige Linke hat nicht nur keine Mehrheit, sondern jetzt ein zusätzliches Problem. Wir erleben in Echtzeit das Lehrbeispiel einer politischen Dynamik in Europa, dessen Lektion sich keiner wünschen kann: Wer hilft, ist der Blöde, wer nicht hilft, wird belohnt.

Das wirkt, und zwar nachhaltig. Auch angesichts absoluter Migrationszahlen, die trotz steigender Tendenz weit unterhalb der Vorjahre liegen. In Österreich nimmt die Opposition diese relativen Zahlen zum Anlass, ÖVP und FPÖ vorzuwerfen, das Migrationsthema in unverantwortlicher Weise zu übertreiben. Kann sein. Richtig ist sicher, dass die Regierung ein Lieblingsthema hat, auf das SPÖ & Co keine schlüssigen Antworten haben. Und das sich tagtäglich in den Schlagzeilen wiederfindet. Darauf einfach zu sagen, das Thema sei in Wirklichkeit gar kein Thema, ist eine besondere Form der politischen Geisterbeschwörung.