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Ist Vernunft ansteckend?

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur der "Wiener Zeitung".
© WZ

Kommen die Masern nach Europa zurück? Von Jänner bis Juni gab es heuer in Österreich bereits 62 Fälle dieser ansteckendsten Krankheit, die man in unseren Breiten kennt. 41.000 Masernfälle waren es in diesem Zeitraum in ganz Europa. Im Jahr 2017 waren nur halb so viele Menschen an Masern erkrankt, nämlich 23.927, weltweit waren in diesem Jahr rund sieben Millionen Menschen von der Krankheit betroffen.

Wer nicht geimpft ist und mit dem Virus aus der Familie der Paramyxoviridae in Berührung kommt, wird mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit infiziert.

Dabei hatte die Menschheit den Kampf gegen den gefährlichen Erreger schon so gut wie gewonnen: Die Zahl der Toten ist dank eines kostengünstigen und effektiven Impfstoffs von 550.100 im Jahr 2000 auf 89.780 im Jahr 2016 gesunken. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hofft, dass das Virus bis zum Jahr 2020 in fünf von sechs WHO-Regionen ausgerottet sein wird. Weltweit sind heute vor allem Kinder in den Entwicklungsländern Asiens und Afrikas gefährdet, an Masern zu erkranken: 95 Prozent aller tödlichen Masernfälle treten in Ländern mit niedrigem Pro-Kopf-Einkommen und schwacher Gesundheitsinfrastruktur auf.

In Europa schien das Virus bereits besiegt: Auf unserem Kontinent tritt das Virus vor allem in Ländern wie der Ukraine oder Rumänien auf - dort vor allem in ländlichen Regionen, wo es Lücken im Gesundheitssystem gibt. Aber auch in Österreich gab es 62 Fälle von Masern. Und das sind 62 zu viel. Denn die Impfangebote sind hervorragend, und es gibt keine Entschuldigung dafür, Kindern die potenziell lebensrettende Impfung zu verweigern beziehungsweise sie zu verschleppen oder den Impftermin nicht wahrzunehmen. Darüber hinaus geht es ja nicht nur ums eigene Kind: Jedes nicht immunisierte Kind wird in einem Kindergarten, in der Schule, auf dem Spielplatz oder in öffentlichen Verkehrsmitteln im Falle eines Ausbruchs von Masern zu einem potenziellen Gefahrenherd für andere, nicht immunisierte Kinder oder Erwachsene.

Impfgegner argumentieren immer wieder, dass Masern in Österreich so gut wie nicht mehr vorkämen und die Impfung deshalb mehr schade als nütze: Dieses Argument ist natürlich grober Unfug. Denn nur wenn die gesamte Bevölkerung durchgeimpft wird, kann die Zahl der Erkrankungen weiter sinken, und nur dann besteht Hoffnung, dass die Masern eines Tages völlig ausgerottet werden können.

In Österreich besteht übrigens - anders als in vielen anderen Ländern Europas - keine Impfpflicht (in Finnland, wo Impfpflicht besteht, gab es seit 1996 nur vier Fälle). Die Ärzte sind also auf die Vernunft der Bürgerinnen und Bürger angewiesen.