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Kein Plan nirgendwo

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Sechs Mal hat ein britischer Reporter den Labour-Chef und möglichen nächsten Premier Großbritanniens, Jeremy Corbyn, gefragt, ob es tatsächlich seine persönliche Überzeugung sei, dass es dem Land außerhalb der EU besser ginge als innerhalb. Eine einfache Antwort auf diese einfache Frage hat Corbin ebenso oft hartnäckig verweigert.

Am Donnerstag hat Brexit-Minister Dominic Raab einen Ratgeber für Bürger und Unternehmen präsentiert, wie sie ihre Interessen im Fall eines "No-Deals" mit der EU samt chaotischen Folgen bestmöglich schützen können. Dieses Szenario ist nach wie vor unwahrscheinlich, Verhandlungen sind stets auch ein Pokerspiel, aber die Möglichkeit ist dennoch realer geworden. Ohne eine Einigung ist ab März 2019 der freie Warenverkehr über den Kanal Geschichte, muss London Sicherheitsregimes für Medikamente und Nukleartechnologie aufbauen und neue Regeln für Finanzdienstleistungen und staatliche Beihilfen aus dem Boden stampfen.

Eigentlich ist allen klar, dass das unmöglich ist und ein "No-Deal" die britische Volkswirtschaft gehörig durchschütteln würde. Und nicht nur die Volkswirtschaft: Die Entscheidung einer Mehrheit der Briten, die EU zu verlassen, hat zu einem Multiorganversagen der britischen Institutionen geführt.

Der Fall, dass eine Regierung mit ihrer Politik Schiffbruch erleidet, gehört zum eingebauten Risiko der Demokratie; für diesen Fall steht gemeinhin die Opposition bereit. Tatsächlich haben die regierenden Tories das Land in ein beispielloses Schlamassel geführt; die gerechte Strafe für diesen verantwortungslosen Aberwitz wäre die Verbannung von der Macht. So weit so normal.

Zur Tragödie wird der Brexit, weil auch die oppositionelle Labour-Partei unter Corbyn meilenweit von der Regierungsfähigkeit entfernt ist. Corbyn hat es auch nach drei Jahren nicht geschafft, die Partei zu einen; dazu ist völlig unklar, wie der 69-jährige langjährige Linksaußen-Unterhaus-Hinterbänkler selbst, und mit ihm seine Partei, zum Brexit beziehungsweise zur EU steht. Dafür sorgte die eigentlich Labour-freundliche jüdische Gemeinde Großbritanniens mit der Sorge für Aufsehen, bei einem Wahlsieg Corbyns drohe ihr die "existenzielle Bedrohung".

Anders formuliert: In Großbritanniens Zwei-Parteien-System sind derzeit beide Parteien weit davon entfernt, regierungsfähig im eigentlichen Wortsinn zu sein. Und wenn man dann noch bedenkt, dass sich spätestens seit der Brexit-Kampagne auch die Massenmedien als stabilisierender Anker der Vernunft abgemeldet haben, beginnt man die wahren Ausmaße der Krise der britischen Institutionen zu erahnen. Da hilft auch ein alltagsnaher Ratgeber für den Fall der Katastrophe nicht wirklich weiter.