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Anklage gegen Orbanistan

Von Thomas Seifert

Leitartikel
Thomas Seifert ist stellvertretender Chefredakteur der "Wiener Zeitung".
© WZ

Ungarns Premier Viktor Orban, der rechtsnationalistische Vorkämpfer der "illiberalen Demokratie", vermag nicht mehr recht zu provozieren, auch wenn er sich redlich bemüht. Am Dienstag hat Orban einen Bericht über mangelnde Rechtsstaatlichkeit im EU-Parlament in Straßburg als ein Dokument abgetan, das die Ehre Ungarns verletze. Das EU-Parlament würde Ungarn unterdrücken und wolle sein Volk mundtot machen. Das sei etwas, das es in Ungarn nicht gebe: "Wir würden nie die zum Schweigen bringen, die nicht mit uns einer Meinung sind."

Orbans Aussagen im EU-Parlament sind in zweifacher Hinsicht Unsinn: Der ungarische Premier hat in den vergangenen Jahren sehr wohl alles darangesetzt, Oppositionsmedien zu schließen, die Namen von Regierungskritikern landeten auf schwarzen Listen des Fidesz-treuen Wochenmagazins "Figyelö".

Der Auftritt Orbans in Straßburg ist darüber hinaus der Beweis dafür, dass die EU-Parlamentarier noch immer die Geduld aufbringen, dem ungarischen Premier zuzuhören, wenn er seine übliche Suada von Ungarn als Opfer der "Migrantenparteien" verbreitet.

Zum Inhalt des von der Grünen-Abgeordneten Judith Sargentini verfassten brisanten Berichts, in dem eine "systemische Bedrohung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechte in Ungarn" festgestellt wurde, hatte Orban nichts zu sagen. Laut dem Sargentini-Bericht hat die Regierung in Budapest unter anderem die Rechte von Minderheiten, Andersdenkenden und Journalisten eingeschränkt, die Unabhängigkeit der Justiz bedroht und die Religionsfreiheit beschnitten. Als Folge droht Ungarn nun seitens der EU ein sogenanntes Artikel-7-Verfahren, nach dem das Land in letzter Konsequenz die Stimmrechte in den EU-Institutionen verlieren würde.

Orban, dessen Partei Fidesz sich im EU-Parlament mit den konservativen Europäischen Volksparteien (EVP) in einer Fraktion wiederfindet, hat die Geduld seiner konservativen Parteifreunde längst überstrapaziert: Zuletzt hat EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) den ungarischen Regierungschef heftig gerügt und mit einem Votum gegen Orban gedroht. Auch Kanzler Sebastian Kurz ist deutlich von Orbán abgerückt.

Auf europäischer Ebene hat sich nun - spät aber doch - die Einsicht durchgesetzt, dass man Orbans Treiben viel zu lange tatenlos zugesehen hat. Anstatt demokratische Gesinnung und den Rechtsstaatsgedanken in Länder des ehemaligen Ostblocks zu exportieren, war die EU in Gefahr, autoritäre Gesinnung, Korruption und antidemokratischen Ungeist aus Ländern wie Ungarn zu importieren. Dass nun endlich eine rote Linie gezogen wird, ist ein deutliches Signal gegen die Fans der "illiberalen Demokratie".