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Gute Zeit für echte Politiker

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Acht Monate vor der Wahl eines neuen EU-Parlaments im Mai 2019 stimmten dessen Abgeordnete mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit dafür, dass sich der Rat der Regierungen mit den rechtsstaatlichen Verstößen Ungarns befassen muss. Es ist dies nach Polen 2017 erst das zweite Mal, dass ein solches Verfahren nach Artikel 7 eingeleitet wird, und das erste Mal, dass der Anstoß dazu vom EU-Parlament ausgeht. Dies läutet das Ende der Mitgliedschaft von Fidesz, Ungarns Regierungspartei, in der Europäischen Volkspartei ein, die großteils (inklusive ÖVP-Mandatare) dafür stimmten; die FPÖ hat sich an die Seite Ungarns gestellt - ein erster Hinweis auf die bevorstehenden Umgruppierungen in diesem Lager.

Politisch ist das Votum ein starkes Signal in Richtung Budapest, dem jedoch kein schnelles Scherbengericht folgen wird. Wie das seit 2017 laufende Verfahren gegen Polen zeigt, handelt es sich um den Startschuss für einen intensiven Dialog zwischen den EU-Behörden und dem betroffenen Mitgliedstaat, der sich über Jahre ziehen kann. Die EU versucht hier einmal mehr, Politik durch einen ausgefeilten juristischen Verfahrensprozess zu steuern und so einen harten Bruch zu vermeiden.

Dessen ungeachtet werden Viktor Orban plus Freunde wie deren Kritiker das Votum für ihre Zwecke im EU-Wahlkampf nutzen. Die Abstimmung markiert hier einen wichtigen Frontverlauf, aber sicher nicht den einzigen.

Ebenfalls am Mittwoch hielt EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker seine letzte "State of the Union"-Rede. Der 63-Jährige wird nach der EU-Wahl die große politische Bühne verlassen.

Vor erschütternd schütter besetzten Abgeordnetenreihen - war da nicht etwas zu Beginn von Österreichs EU-Präsidentschaft? - hielt Juncker eine nüchterne Rede. Sein an den realen Machtverhältnissen ausgerichtetes Plädoyer für eine EU, die als souveräner Akteur in der Weltpolitik auftritt, hat die Vernunft auf seiner Seite.

Diese gebündelte Souveränität in Handel, Außenpolitik, Sicherheit ist ohne sinnvolle Alternative. Das erzwingt unpopuläre Entscheidungen: mehr Mittel für Militär und Polizei; mehr Engagement in den Krisen in Nahost und Afrika; mehr Mittel zu Stabilisierung und Entwicklung dieser Regionen; Aufgabe nationaler Souveränität beim Aushandeln von Handelsverträgen. Das strategische Mittel zu fast allen diesen Zwecken wird der Euro sein. Dies erfordert weitere unpopuläre Entscheidungen, jedenfalls dann, wenn das große Experiment gelingen soll.

Europas Politiker stehen vor gewaltigen Herausforderungen. Sie müssen Mehrheiten gewinnen für Maßnahmen, für die es noch keine Mehrheiten gibt. Mehr kann sich ein leidenschaftlicher Politiker nicht wünschen.