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Schwarz-blaue Paradoxie

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Just an dem Tag, an dem die SPÖ ihr lange erwartetes und unter erheblichen Schmerzen geborenes Thesenpaket zu Migration und Flucht endlich präsentierte, wird sie einmal mehr von der Regierung aus den Schlagzeilen verdrängt. Dabei war der Weg zur großen Sozialversicherungsreform, den die Koalition am heutigen Freitag präsentieren will, nicht weniger von Verwundungen, inneren wie äußeren, geprägt.

Während die neue türkise ÖVP in den Strukturen des verwinkelten Gesundheitssystems an jeder Ecke ihrem alten Ich, der schwarzen, bündischen und föderalen Volkspartei begegnete, ja dafür mitunter nur in den Spiegel schauen musste, hätte es die FPÖ eigentlich viel leichter haben können. Immerhin zählt die Forderung nach einer Reduktion des aufgeblähten Sozialversicherungswesens zu den wenigen Inhalten, die sie auch schon vor ihrer Neuerfindung als "soziale Heimatpartei" einforderte. Allein das "Management by Chaos" von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein ist Wasser auf die Mühlen aller Kritiker der Blauen.

Ein valides Urteil über die Reform wird dauern. ÖVP und FPÖ haben es sich selbst zu verdanken, dass ihnen mehr als nur von Seiten der Opposition ein Misstrauensvorschuss entgegenschlägt. Zu oft lassen sich ihre Veränderungen auf bloße Wechselspiele reduzieren. Die Aufregung darüber ist nach den Erfahrungen der Zweiten Republik zwar mehr als nur scheinheilig, aber die Regierung muss sich schon an ihren eigenen Worten vom "neu Regieren" messen lassen.

Dabei widerfährt Schwarz-Blau regelmäßig eine besondere österreichische Paradoxie: Dem Machtwechsel geht stets eine Erosion der Sozialpartnerschaft in Ansehen und Lösungskompetenz voraus; doch jedes Mal gelingt es ÖVP und FPÖ im Anschluss, die Sehnsucht nach der alten Konsensdemokratie im Rekordtempo neu zu entfachen.

Die FPÖ behauptet zwar von sich , die SPÖ als Partei der kleinen Leute abgelöst zu haben. Aber die Blauen verfügen nun einmal nicht über ein vergleichbares organisatorisches Macht- und Mobilisierungsnetzwerk im Arbeitnehmerbereich, sprich: bei ÖGB und Arbeiterkammern. Ohne geht es offensichtlich nicht, wenn man ein Bild der Machtbalance zwischen Wirtschaft und Arbeitnehmern vermitteln will. Daran scheitert die Erzählung von der FPÖ als Arbeitnehmerpartei ein ums andere Mal.

Über all dem gerät aus dem Blick, worum es eigentlich geht: ein verworrenes und verwirrendes Gesundheitssystem so zu organisieren, dass die Bürger nach den höchsten Maßstäben versorgt werden, ohne dass ineffiziente Strukturen einen ungebührlich großen Mittelanteil verbrennen.

Bis darüber Gewissheit herrscht, werden Jahre vergehen. Und bis dahin macht der Ton die Musik.