Zum Hauptinhalt springen

Rot ist mehr als Anti-Blau

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Wenn heute alle Augen und Ohren auf die Nominierung von Pamela Rendi-Wagner als Vorsitzende der SPÖ gerichtet sind, dann begleitet eine Frage diesen neuerlichen Ausbruchsversuch der ältesten Partei des Lands aus ihrer selbstverschuldeten Hilflosigkeit: Kann die Neue die SPÖ zunächst hinter sich vereinen und anschließend Wahlen gewinnen, indem sie Türkis-Blau eine eigene, eine andere Mehrheit entgegensetzt?

Diese Frage treibt nicht nur die SPÖ, sondern auch alle, die sich einem linksliberalen Lebensgefühl zugehörig fühlen, seit Jahrzehnten um.

Seriös lässt sie sich heute nicht beantworten. Erstens, weil niemand weiß, wie viel politisches Talent tatsächlich in Rendi-Wagner steckt. Und zweitens, weil Talent allein dazu nicht ausreicht; hierfür braucht es neben Glück auch noch das Pech der anderen.

Diese Fixierung auf den Lagerkampf gegen Türkis-Blau verdrängt, dass Wahlkämpfe einer anderen Dynamik gehorchen als die anschließenden Regierungsverhandlungen. Hier geht es darum, die Anzahl der No-Go-Koalitionen zu minimieren.

In dieser Kunst ist die ÖVP unübertroffen: Sie regiert in den Ländern mit Grünen wie Neos, mit der FPÖ und noch immer mit der SPÖ. "Geht nicht" gibt’s in der Volkspartei nicht.

Praktisch stimmt das auch für die SPÖ, die in Wien mit den Grünen und im Burgenland mit der FPÖ koaliert. Letzteres sogar weitgehend friktions- und geräuschlos. Auf Bundesebene jedoch hat die Frage einer Zusammenarbeit mit der FPÖ weiter Sprengkraft für die Gesamtpartei.

Christian Kern war dieses Dilemma bewusst; er traf sich sogar auf ein Bier mit dem Antipoden von der FPÖ. Doch sein Weg, die Frage über einen Kriterienkatalog zu entschärfen, ist zum Scheitern verurteilt. Weil er die FPÖ-Fixierung maßgeblicher Kräfte nicht nur in der SPÖ, sondern auch im politisch-medialen Komplex nur weiter befeuert. Dass Kern selbst, in höchster Not, zum sichersten und einfachsten Mittel griff, um die eigenen Anhänger zu mobilisieren, nämlich die SPÖ als Bollwerk gegen die FPÖ zu inszenieren, ist dazu kein Widerspruch. Aber diese Strategie ist nur dort ein Rezept, wo die SPÖ aus einer Position der Stärke über Alternativen verfügt. In Österreich trifft das allein auf Wien zu.

Wenigstens im Bund wäre es deshalb für die SPÖ ein Gebot kühler Vernunft, sich von ihrer Fixierung auf die FPÖ zu lösen und Politik aus ihrem eigenen Selbstverständnis heraus einzufordern oder zu gestalten. Selbst das würde die roten Gräben nicht über Nacht zuschütten. Aber die SPÖ würde dann wenigstens über ihre eigene Politik und nicht über ihr Verhältnis zu einer anderen Partei streiten. Und das wäre einer so traditionsreichen Partei höchst angemessen.