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Merkels langer Herbst

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
Walter Hämmerle.
© Luiza Puiu

Angela Merkel taumelt durch ihre vierte Amtszeit als deutsche Bundeskanzlerin. Die Niederlage ihres Vertrauten in einer Kampfabstimmung um den Vorsitz der Unionsfraktion ist ihre höchstpersönliche Niederlage, die sie schwer angeschlagen hinterlässt wie einen Boxer im Kampfring. Und nirgendwo ein rettender Pausengong.

Das atemraubende Tempo, in dem die Öffentlichkeit den Verfall der politischen Autorität der längstdienenden Spitzenpolitikerin der westlichen Welt verfolgen kann, sollte nicht einmal ihren Kritikern Anlass zur Freude geben, geschweige denn ihrer eigenen Partei. Im 13. Jahr ihrer Kanzlerschaft muss Merkel mit ansehen, wie ihr, die es über mehr als ein Jahrzehnt auf unnachahmliche Weise verstand, den politischen Entwicklungen ihren Willen aufzuzwingen, die Zügel entglitten sind. In Deutschland wie in Europa.

Das ist keine gute Nachricht, und zwar weder für Deutschland noch für Europa. Nicht, weil Merkel nicht da wie dort ersetzbar wäre. Das ist sie, wie jeder andere Spitzenpolitiker, sehr wohl. Sondern weil nirgendwo personelle oder strukturelle Vorkehrungen für diese Entwicklung getroffen wurden.

Merkel hat aus der Union aus CDU und CSU zu ihren besten Zeiten den politischen Hegemon Deutschlands geformt. Jeder Weg zur Macht führte ausschließlich über Merkels Partei, sie hat aus der ehemaligen Mitte-rechts-Partei ein unbestimmtes Mitte-Amalgam geformt, einmal öko, dann wieder liberal, ganz oft sozial und kaum noch rechts.

Das war nicht unbedingt die falsche Strategie zur damaligen Zeit. Sie hat sich jetzt jedoch überholt. Nicht nur, dass die Union bitter gespalten und völlig orientierungslos dasteht, liegt auch das Parteiensystem der Bundesrepublik in veritablen Trümmern. Wie sonst sollte man es benennen, dass die hart rechte bis glatt rechtsextreme AfD in bundesweiten Umfragen auf Platz zwei liegt? Dass nun die Landespartei in Sachsen eine Koalition mit der AfD nach den nächsten Wahlen im Herbst 2019 nicht ausschließen will, zeigt, wie sehr sich die Koordinaten der alten, der ehemaligen bundesrepublikanischen Ordnung verschoben haben.

Wenn es Merkel - und mit ihr der schwarz-roten Koalition in Berlin - nicht sehr bald gelingt, wieder politischen Boden unter die Füße zu bekommen, dann stehen der europäischen Zentralmacht unruhige Zeiten bevor. Das wird dann bis in die Peripherie des Kontinents zu spüren sein, zumal auch der 2017 rasant aufgegangene Stern des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron schon wieder im Niedergang begriffen ist.

Die Zeichen in Berlin stehen auf Veränderung. Merkel steht in der Pflicht, ihre Nachfolge geordnet einzuleiten.